Mehr Nachhaltigkeit durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)?

Im folgenden Beitrag werde ich einige ausgewählte Kernergebnisse aus unserem neuen Papier A greener path for the EU Common Agricultural Policy, das am 02 August 2019 in SCIENCE erschienen ist, auf deutsch zusammenfassen.

Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) ist die größte europäische und weltweit eine der größten Agrarpolitiken, die mit jährlich ca. 55 Mrd. EUR bisher hauptsächlich auf Einkommens- und Produktivitätsziele sowie auf die Versorgungssicherheit ausgerichtet war. Seit 1992 wurden eine Serie von Reformen durchgeführt, die sehr viel mehr Umweltmaßnahmen in die GAP integrierten. Allerdings stagniert diese Entwicklung seit mindestens 10 Jahren. Die letzte GAP-Reform 2013 war zwar ambitioniert, allerdings erwies sich das Kernelement dieser Reform, das sog. „Greening“ als wenig effektiv, ineffizient und in der Praxis für viele Betriebe als kompliziert und schlecht umsetzbar. Wir bewerten in unserem Artikel den Reformvorschlag der EU-Kommission für die GAP nach 2020.

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Blühfelder bei Germerode, am Hohen Meißner im Juni 2018 – eine Maßnahme, die nicht ausreichend über die GAP gefördert wird.

Der größte Teil des Agrarbudgets wird in der I. Säule (ca. 40 Mrd. EUR) für die Direktzahlungen ausgegeben. Die I. Säule enthält u.a. die entkoppelte Direktzahlungen, Greening, Umverteilung-Zahlungen, die Förderung von Junglandwirten, die Zahlungen für Kleinerzeuger sowie die gekoppelte Zahlungen. Die sog. II. Säule enthält die Programme für Ländliche Entwicklung (ca. 14 Mrd. EUR), in denen sich Agrarumweltprogramme sowie andere Programme wie etwa die der ländlichen Entwicklung befinden.

Im Juni 2018 hat die EU-Kommission einen neuen Reformvorschlag für die GAP nach 2020 vorgelegt, der mit einer Reihe von Maßnahmen mehr Umwelt und eine effizientere, einfachere Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten umsetzen soll. Der Diskussionsprozess um die GAP-Reform ist bereits seit Sommer 2018 im Gange und geht nach der Europawahl am 26.Mai 2019 in die entscheidende Phase. In ihrem Papier „Future of Food and Farming“ (von Nov. 2017) hat die EU Kommission ihre Ziele ausgerufen und begründet, warum die GAP angeblich auch zu den UN Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) beiträgt. Wir haben 2017 einen Fitness-Check der GAP durchgeführt und basierend auf dieser Literaturstudie, sowie neueren wissenschaftlichen Publikationen den aktuellen Reformvorschlag untersucht.

Wir kommen zu folgenden Kernergebnissen:

1. Mangelnde Verbindung zu den UN Nachhaltigkeitszielen

Die Gemeinsame Agrarpolitik trägt nur marginal zu den United Nations Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) bei. Die EU Kommission hatte in Future of Food and Farming sich klar zu den Nachhaltigkeitszielen bekannt, jedoch auch dargestellt, dass die GAP angeblich zu vielen SDGs bereits beitrage. Im Text der Kommission findet sich unter anderem diese Grafik:

EU Komm 2017 Nachhaltigkeitsgrafik

Diese Grafik legt nahe, dass die GAP bereits auf die SDGs ausgerichtet wird. Wir haben 24 Experten verschiedner wissenschaftlichen Disziplinen befragt, welches Potenzial die GAP zur Erfüllung der SDGs hat. Basierend auf der Literaturstudie des Fitness-Checks haben auch bewertet, inwieweit die GAP bereits zu den Nachhaltigkeitszielen beiträgt. Die folgende Grafik fasst die Ergebnisse dieser Analyse zusammen:

GAP und Nachhaltigkeitszielen

GAP und Nachhaltigkeitszielen – Potenzial und tatsächliche Performance (Pe’er et al. 2019; Entwurfsversion)

Wichtig ist zunächst festzuhalten, dass die Nachhaltigkeitsziele ursprünglich aus der Entwicklungspolitik kommen und sehr allgemein gehalten sind. Für den EU-Kontext müssen sie an die Situation von Industriestaaten angepasst und entsprechend interpretiert werden. Die Grafik liest sich wie folgt: Je weiter der Strahl nach außen zeigt, desto größer schätzen die Experten das Potenzial der GAP ein, zu dem SDG beizutragen. Die Farben zeigen dagegen die tatsächliche eingeschätzte Performance der GAP (basierend der wissenschaftlichen Literatur).

Es zeigt sich zunächst, dass die GAP zu einer Reihe von Zielen beitragen könnte:

  • SDG1 (keine Armut),
  • SDG2 (kein Hunger, d.h. Versorgungssicherheit),
  • SDG6 (Sauberes Wasser),
  • SDG12 (Verantwortungsvoller Konsum und nachhaltige Produktion),
  • SDG13 (Maßnahmen zum Klimaschutz), sowie
  • SDG15 (Leben an Land, sprich verantwortliche Nutzung von Umweltressourcen an Land).

Tatsächlich trägt die GAP nur zu SDG1 (keine Armut) und SDG2 (kein Hunger, Versorgungssicherheit) bei. Zu den anderen Nachhaltigkeitszielen trägt die GAP dagegen bisher wenig bis gar nicht bei. Dies erscheint vor allem im Hinblick auf SDG6 (sauberes Wasser), SDG12 (nachhaltige Produktion) SDG13 (Klimamaßnahmen) und SDG15 (Leben an Land) wichtig, da hier die Möglichkeit der Förderung gegeben wäre.

  • SDG 6, Sauberes Wasser: Die Umsetzung der Nitratrichtlinie, bzw. im deutschen Kontext der Düngeverordnung könnte zu weniger Nitratrückständen im Trinkwasser führen, was regional in Westniedersachen seit Jahrzehnten ein ungelöstes Problem darstellt. Im Mai 2019 hatte die EU Kommission die mangelnde Umsetzung der Düngeverordnung durch die Bundesregierung gerügt und mit Strafzahlungen in Höhe von 850.000 EUR/Tag gedroht (Siehe Euroaktiv vom 26.07.2019). Sind die Entwicklungen beim Trinkwasser dagegen moderat positiv, allerdings bei national recht unterschiedlichen Werten, weshalb dieses Detail nicht der Experteneinschätzung widerspricht (vgl. Eurostat 2019: S.140)
  • SDG 12, Nachhaltige Produktion könnte tatsächlich ausgebaut werden. Der Ökolandbau wird zwar als nachhaltiges Produktionssystem gefördert, aber in Deutschland werden lediglich 8.9% der Fläche ökologisch bewirtschaftet (BÖLW 2019) und in der EU sind was nur 7,0% (Eurostat, Stand 2019: 68). Es gibt neben dem Ökolandbau in der EU kein weiteres nachhaltiges Betriebssystem, das systematisch gefördert würde. Das Thema nachhaltiger Konsum würde dagegen in dem Bereich Ernährungspolitik fallen. Dies wird in einigen EU-Staaten als Teil der Agrarpolitik begriffen, ist jedoch umstritten.
  • SDG 13, Klimamaßnahmen: Das Potenzial wird hier etwas geringer eingeschätzt, da auch andere volkswirtschaftliche Sektoren zum Klimawandel beitragen. Die wichtigen Stellschrauben in der Landwirtschaft sind im Bereich Tierhaltung und Nutzung von Moorstandorten zu sehen. Im Bereich Tierhaltung könnte die GAP zumindest mit Transformationshilfen beitragen, allerdings müssten hier auch andere Politikbereiche unterstützen. Bei der Extensivierung und ggf. Wiedervernässung von Moorstandorten könnte die GAP ebenfalls durch Transformationshilfen bzw. Förderung beitragen. Auch diese Maßnahmen sind nicht einfach umzusetzen, gleichwohl wäre es wichtig, dass die Kommission hier einen Schwerpunkt legt.
  • SDG 15, Leben an Land: Hier könnte man insgesamt den Umgang mit Landressourcen verstehen. Der Rückgang der Biodiversität ist dramatisch, insofern wäre dies ein Problem, das die GAP adressieren könnte, aber nicht ausreichend tut. Die Umsetzung von Natura 2000 fällt auch in diesem Bereich. Die Agrarumweltprogramme tragen hierzu einiges bei, allerdings wenig zielgerichtet, sondern eher zufällig. Auch andere Indikatoren wie Landversiegelung, Verlust von Agrarflächen oder Erosion sind nicht ausreichend adressiert.

Die weitere Analyse zeigt, dass für einige Ziele keine Instrumente vorhanden sind, bei anderen Zielen sogar kontraproduktive Effekte durch einzelne GAP-Maßnahmen zu beobachten sind. Hierzu gehört vor allem die Beibehaltung von gekoppelten Zahlungen, die teilweise intensive Produktionssysteme (Fleischproduktion, intensiver Gemüsebau) fördern und damit negativ zur Klimabilanz des Sektors beitragen. Insgesamt wäre es ratsam, die GAP mit den Nachhaltigkeitszielen zu verknüpfen. Die suggestive Grafik der EU Kommission spiegelt keinesfalls die tatsächlichen Beiträge der GAP wieder.

2. Neue Ziele, aber unklare Prioritäten für die GAP nach 2020

Insgesamt ist der neue Zielkatalog der GAP recht unklar. Zwar wirken die Ziele in der Zusammenschau recht umfassend und ausgewogen. Als neue Ziele der zukünftigen GAP werden in Artikel 6 des Reformentwurfes folgende Ziele genannt:

  • A) gerechtes Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte
  • B) Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
  • C) Wiederherstellung eines ausgewogenen Kräfteverhältnisses in der Lebensmittelkette
  • D) Klimaschutzmaßnahmen
  • E) Umweltpflege
  • F) Erhalt von Landschaften und Biodiversität
  • G) Förderung des Generationswechsels
  • H) dynamische ländliche Gebiete
  • I) Schutz von Lebensmittelqualität und Gesundheit

Eine Analyse des EU-Haushalts von 2017 zeigt jedoch, dass der größte Teil der Zahlungen immer noch in die Einkommensstützung geht. Die folgende Grafik zeigt die Zuordnung der einzelnen Instrumente und deren finanzielle Mittel zu den neuen GAP-Zielen:

Haushalt und Ziele_Deutsch600

Die Verknüpfung von Budgetposten mit den neuen GAP-Zielen beruht auf den Zahlen von 2017. Es ist fast logisch, dass mit den vorgesehenen Kürzungen in Säule II, die für die nächste Finanzperiode 2021-2027 vorgesehen sind, die Bedeutung von Ziel A (Einkommen) und Ziel B (Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit) weiter steigen wird.

Des weiteren fällt auf, dass interne Zielkonflikte ungelöst bleiben und es für einige Ziele der EU Kommission (ähnlich wie bei den SDGs) überhaupt keine GAP-Maßnahmen gibt. So stellt sich z.B. die Frage, wie die Kommission die „Wiederherstellung eines ausgewogenen Kräfteverhältnisses in der Lebensmittelkette“ (Artikel 6, Ziel C)erreichen will. Normalerweise wäre dies eine Aufgabe, die in den Bereich des Wettbewerbsrechtes, der allgemeinen Marktordnung oder des Kartellrechts fällt. Die mögliche Stärkung der landwirtschaftlichen Produzentenorganisationen wurden bereits 2017 in die Wege geleitet, dürfte jedoch auch nur begrenzte Wirkung für die Betriebe zeigen. Insofern ist dieses Ziel wohl eher eine allgemeine Willenserklärung der EU Kommission.

3. Beibehaltung der Direktzahlungen als Haupthindernis

Die Beibehaltung der Direktzahlungen erscheint als das größte Hindernis für weitere ambitionierte Reformen, da die finanziellen Mittel für andere Ziele fehlen. Die Direktzahlungen wurden 1992 als Transformationshilfen in der MacSharry-Reform eingeführt und 2005 durch Franz Fischler entkoppelt. Allerdings sind diese Reformen lange her, und inzwischen fehlt eine wissenschaftlich tragbare Begründung. Die EU Kommission hat nie den Nachweis erbracht, dass landwirtschaftliche Haushalte im Durchschnitt ärmer sind als andere Haushalte. Des Weiteren ist zu vermuten, dass Vermögenswerte eine solche Analyse anders aussehen dürften. Allerdings liegt von der EU Kommission kein solcher Beleg vor und es ist zu vermuten, dass zumindest in Deutschland überhaupt keine angemessene Datengrundlage für eine solche Analyse vorliegt, da grob gesagt nur ca. 200 landwirtschaftliche Haushalte in die allgemeine Haushaltsstatistik eingeht, was nicht ausreichend ist. (Dazu vielleicht demnächst mehr Details von unseren Doktoranden am Lehrstuhl für Agrarpolitik…).

Die Direktzahlungen kommen nur den Eigentümern von Flächen zu gute. Pächter riechen diese Zahlungen über die Pacht an die Verpächter weiter, d.h. ein Teil der Zahlungen ist überhaupt nicht Einkommenswirksam und kommt dagegen nicht landwirtschaftlichen Flächeneigentümern zu gute. Zu den Nutznießern gehörten in der Vergangenheit auch Landeigentümer wie z.B. Südzucker oder der Molkerei Arla (Siehe z.B. Spiegel-Artikel von 2017). Des Weiteren werden Märkte für Agrarflächen gestört, da die Pacht- und Kaufpreise durch die Direktzahlungen erhöht werden. Schließlich sehen viele im Agrarsektor und außerhalb als ungerecht an, da große Betriebe eine hohe Summe an Direktzahlungen erhalten: 1.8% der größten Empfänger erhalten EU-weit 32% der Zahlungen. Dies muss man zwar nicht notwendigerweise so bewerten, allerdings untergräbt auch dieser Vorwurf die Akzeptanz der Direktzahlungen. Und insgesamt fehlen die Gelder (ca. 40 Mrd. EUR) an anderer Stelle z.B. für Umwelt- oder Biodiversitätspolitik, für den Umbau des Tiersektors oder auch für eine Ausgestaltung von Risikopolitiken.

4. Die neue Grüne Architektur ist keine Stärkung der Umweltpolitik in der GAP

Die „neue grüne Architektur“ der GAP ist vage und führt (entgegen anderer Behauptungen) nicht automatisch zu einer Stärkung der Umweltinstrumente. Die „neue Konditionalität“, die Cross Compliance und Greening zusammenfasst, ist bisher höchst unklar und könnte schlimmstenfalls zu einer Verwässerung z.B. von Greening führen. Es ist nicht klar, welche Sanktionen mit der Konditionalität verbunden ist und sie könnte zu mehr Bürokratie für die Betriebe führen.

Die „Eco-Schemes“ könnte bei einem sinnvollen Einsatz einzelne Verbesserungen bringen. Allerdings ist diese Maßnahme bisher nur ein ungedecktes Versprechen, da man unter diesem Stichwort alles mögliche fördern kann. Hier könnten hellgrüne bis völlig unwirksame Agrarumweltprogramme weitere gefördert werden, die Mitgliedsstaaten könnten jedoch auch den Ökolandbau oder einfache Klimamaßnahmen fördern. In Deutschland könnten diese Fördermaßnahmen von vorne herein zu Streit zwischen den Bundesländern führen, da sie bundeseinheitlich umgesetzt werden müsste und im schlechtesten Fall zu einer Verlagerung von Finanzmitteln aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, NRW und Bayern nach Ostdeutschland führen könnte. So gesehen hängt alles vom guten Willen der Mitgliedssaaten ab und die wollen sich das Leben leicht machen. Es ist auch unklar, wie eine grüne Architektur mit einem zusätzlichen Programm zu einer Vereinfachung führen soll.

Der funktionierende Teil der grünen Architektur dagegen, die Agrarumweltprogramme der II. Säule, wird dagegen im Budget-Vorschlag überproportional gekürzt. Der Entwurf des Finanzrahmens 2021-2027 sieht hier eine Kürzung von ca. 28% vor, so dass weniger Geld für Agrarumweltprogramme zur Verfügung steht. Erst diese Woche beklagte der Biolandverband den Förderstopp für Umsteller auf Bio in Sachsen-Anhalt (Pressemitteilung vom 31.07.2019). Es fehlt insofern in der II. Säule an Geldern und die finanzschwachen Ost-Bundesländer können offenbar die Eigenmittel für diese Maßnahme nicht aufbringen. Insofern wäre es sinnvoll, die Umschichtung von Kofinanzierungs-freien Mitteln aus der I. Säule zuzulassen. Diese Sind jedoch lt. Vorschlag auf 15% begrenzt. Auch dies dürfte eher zur Schwächung der Agrarumweltprogramme beitragen.

Insgesamt stellt die Grüne Architektur eine potenzielle Schwächung von Umweltaspekten dar. Dies steht in Kontrast zur Behauptung der Kommission, die Umweltbilanz der GAP werde gestärkt. Es hängt alles vom politischen Willen in den Europäischen Hauptstädten ab und der ist nicht immer vorhanden.

5. Das neue Umsetzungsmodell als GAP-Blame-Shifting?

Das „neue Umsetzungsmodell“ der GAP basiert auf dem Prinzip, dass die Mitgliedsstaaten recht frei entscheiden können und der EU Kommission nur über Indikatoren-Berichte den Fortschritt durch die GAP berichten müssen. Dies setzt eine sehr lange Entwicklung hin zu mehr Flexibilität fort, die bereits seit der Fischler-Reform 2005 zu beobachten war:

Grundsätzlich wäre mehr Flexibilität, bzw. Subsidiarität sinnvoll. Allerdings steht hinter dem Reformentwurf keine Abwägung, was auf welcher Ebene entschieden werden soll. Die EU-Kommission wälzt die Verantwortlichkeit auf die Mitgliedsstaaten ab, ohne sicherzustellen, dass die Indikatoren irgendetwas belastbares darstellen. Die Indikatoren, die die Mitgliedsstaaten an die Kommission berichten sollen, sind hauptsächlich auf die Verwaltung fokussiert und bilden keine realen Reformergebnisse ab: Die Anzahl geförderter Betriebe oder geförderter Hektar sagt nichts über die Wirksamkeit einer Politik aus, sondern bildet nur den Fluss von Geldern und die Verwaltungslogik der GAP ab.

Die Indikatoren sind insofern das Kernproblem dieses Umsetzungsmodells. Dies zeigt sich auch daran, dass die EU Kommission den Indikator „High Nature Value Farmland (HNV)“ aus ihren regelmäßig untersuchten Indikatoren genommen hat. Die ersten Ergebnisse auf Eurostat von 2012 deuteten bereits an, dass es nicht zum besten bestellt ist mit HNV, auch die Daten für Deutschland zeigen einen Rückgang dieser für die Biodiversität besonders relevanten Flächen. Allerdings präsentierte Eurostat nie mehr als eine Karten für HNV, es war für Wissenschaftler nie möglich, die Rohdaten zu bekommen. Und jetzt, wo dieser Indikator sinnvoll eingesetzt werden könnte, streicht ihn die EU Kommission. Ein weiterer Nebeneffekt dieser Streichung besteht darin, dass bereits einige Bundesländer überlegen, ob man überhaupt noch Daten für diesen Indikator erheben soll. Angesichts diesen Details kann man schon fragen, wie ernst es der EU Kommission und der DG Agri mit ihrem neuen Umsetzungsmodell ist.

Polit-ökonomisch kann man von einem „Blame-Shifting“ sprechen, da im Falle einer schlechten Politikgestaltung die nationalen Regierungen in der Öffentlichkeit für das Scheitern verantwortlich gemacht werden müssten und nicht die EU-Kommission, die mit diesem Modell wohl auch eine weitere politische Niederlage wie 2013 vermeiden wollte. Bei der Reform 2013 stand sie trotz hoher Ambitionen nach mehreren Verhandlungsrunden (mit einer Verwässerung der Kernelemente wie Greening und Umverteilung) als der Verlierer der GAP-Reform da.

Es ist auch klar, dass diese Taktik im Umkehrschluss nicht zu einer besseren Politik führt, sondern eher zu einer anderen Kommunikationsstrategie der nationalen Regierungen. Es ist zu erwarten, dass die nationalen Regierungen vordergründig Maßnahmen wählen werden, die zwar ggf. zu einem verbesserten Abschneiden bei den Indikatoren führen. Diese vordergründigen Darstellungserfolge bei Indikatoren führen jedoch nicht zu einer verbesserten Bilanz der GAP, da die Indikatoren wenig über die tatsächliche Wirkung aussagen.

Am Ende stehen zahllose Berichte über Verwaltungsindikatoren (wie geförderte Betriebe oder geförderte Flächen in Programm X und Y) und eine GAP, die weiterhin die wichtigen Herausforderungen des Sektors nicht adressiert. Insofern wird dieses Umsetzungsmodell (Stand August 2019) wohl kaum bessere Ergebnisse erzielen. Die Indikatoren müssten deutlich verbessert werden, um im Rahmen des Umsetzungsmodells tatsächlich positive Effekte zu erzielen.

Schließlich gibt die EU Kommission mit dieser Flexibilisierung auch die Gestaltungshoheit über eine ihrer wichtigsten Politiken auf. Die Agrarpolitik könnte sich in einen Flickenteppich nationaler Maßnahmen und Egoismen (gekoppelte Zahlungen!) verwandeln und gerade in Marktfragen könnte ein wichtiger Europäischer Mehrwert verloren gehen, nämlich der einheitliche Markt für Agrarprodukte. Parlament und Rat sollten sich gut überlegen, ob man hinter das Erreichte zurückfallen will, oder ob es nicht sinnvoll wäre, in einem sehr viel anspruchsvolleren Prozess, die Maßnahmen zu bestimmen, bei denen man aus Subsidiaritätsgedanken heraus Flexibilität zulässt und bei welchen Maßnahmen man weiterhin die Einheitlichkeit wahrt. Dieser Schritt fehlt in der aktuellen Reform.

6. Der Reformprozess sollte insgesamt verbessert werden

Der Prozess der GAP-Reform kann unserer Meinung nach weiterhin als defizitär betrachtet werden. Die EU Kommission, der Europäischer Rat und das EU Parlament berücksichtigen zu wenig die Erkenntnisse der Wissenschaft und die allgemeinen Erwartungen der Gesellschaft. Die EU Kommission hatte 2017 (Febr.-Mai) zwar einen breiten Kommunikationsprozess begonnen, in dem auch Bürger die Möglichkeit hatten, ihre Meinung zur GAP online anzugeben. Allerdings kam ein großer Teil der Beantwortungen (45.6%) aus Deutschland und lediglich 6.7% der Antworten kam aus den neuen Mitgliedsstaaten. Andererseits gab es einige recht deutliche Erkenntnisse, die sich kaum im Reformentwurf der Kommission widerspiegeln, wie etwa der Wunsch, dass die GAP mehr zu gesellschaftlichen Zielen wie Umwelt beitragen möge. Die folgende Grafik zeigt die Prioritäten, die Landwirte und Bürger im Rahmen der GAP umgesetzt sehen wollen:

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Es zeigt sich, dass die Mittelverteilung (blau) kaum mit den geäußerten Prioritäten sowohl der Bürger (orange) wie auch der Landwirte (rot) übereinstimmt. Es stellt sich die Frage, inwieweit die EU Kommission die Ergebnisse des Kommunikationsprozesses bei ihrem Reformentwurf berücksichtigt hat. Die Auswertung des Dialogprozesses wirkt insofern verzerrt und ignoriert einen Teil der dokumentierten Ergebnisse – wie etwa, dass Bürger mehr Umweltschutz in der GAP erwarten. Daneben wäre es sinnvoll, die Kooperation von Wissenschaft und Politik auszubauen. Es zeigt sich in der wissenschaftlichen Praxis, dass die EU nicht ausreichend Daten zur Verfügung stellt.

Die Statements von Phil Hogan zum Reformprozess wirken auch eher verwirrend, da er etwa beim Europäischen Bauernverband in einer Rede sagte:

…I have fought tooth and nail to ensure that Direct Payments remained the top priority in the MFF discussions” (Phil Hogan, 2018)

Insofern schienen Direktzahlungen weiterhin eine wichtige Priorität, obwohl sich dies aus den Ergebnissen des Kommunikationsprozesses nicht ableiten lässt. Wissenschaftler wie etwa der Wissenschaftliche Beirat für Agrar- und Ernährungspolitik des BMEL kritisiert die Direktzahlungen seit vielen Jahren, u.a. in seinen Gutachten von 2010 und 2018. Auch die Empfehlungen des Europäischen Rechnungshofes von Nov. 2018 oder unser Fitness-Check von 2017 gehen in diese Richtung. Insofern hat die EU Kommission mit ihrem Reformvorschlag die wissenschaftliche Erkenntnisse zur GAP weitgehend ignoriert. (- Selbst wenn die Kommission brav die eine oder andere Studie nennt.) Die Bürger erwarten von der neuen EU Kommission unter Ursula von der Leyen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zumindest berücksichtigt werden, (selbst wenn auch klar ist, dass nicht alle Vorschläge aus der Wissenschaft immer 1:1 umgesetzt werden können.)

7. Das neue EU Parlament & die neue EU Kommission sind gefragt

Es wäre jetzt die Möglichkeit, mit einem neu gewählten EU Parlament und einer neuen EU Kommission diese Reform noch zu einem Erfolgsmodell zu machen. Aber hierfür wäre mehr Reformwille und Motivation notwendig. Der Umweltausschuss des EU-Parlaments hat im Februar 2019 bereits gezeigt, wie man aus dem bisher ungeeigneten und ambitionsfreien Vorschlag der Kommission noch etwas machen kann. Es kommt jetzt auf die Politik an, die größte europäische Politik nachhaltig zu reformieren.

Wichtige Kernpunkte könnten sein:

  • Ausrichtung der Ziele: Mehr Ambition der GAP
  • Balance der Instrumente: Ausrichtung auf die gesellschaftlichen Erwartungen.
  • Schrittweises Auslaufen der Direktzahlung
  • Stärkung der Grünen Architektur. Dazu weiter…
  • Kohärente Vorgehensweise zwischen allen Maßnahmen, d.h. ein „Ringfencing“ für bestimmte Maßnahmen für Biodiversität und Klima in beiden Säulen.
  • Hohe Ambition bei den Eco-Schemes: Eine Studie von Oppermann und Schraml vom IFAB Mannheim haben hierzu einige Praxisvorschläge erarbeitet.
  • Stärkung der Agrarumweltprogramme: Mehr Geld in der II.Säule für die effektiven Programme, Integrative Ansätze fördern wie etwa den Ökolandbau oder auch High Nature Value Farmland (HNV).
  • Innovative Methoden (Ergebnisorientierte Honorierung, DVL-Punktemodell, Auktionen) anwenden & die Verwaltung von Agrarumweltprogrammen vereinfachen.
  • Ausrichtung auf AUKM der Biodiversitäts- und Klimastrategien: Es gibt positive Beispiele für wirksame Agrarumweltprogramme, allerdings ist hier der gute Wille von Kommission, Mitgliedsstaat und v.a. den ausführenden Behörden gefragt. Landwirte müssen stärker motiviert werden, die teilweise anspruchsvollen Maßnahmen vor Ort durchzuführen.
  • Mehr echte Subsidiarität statt Flexibilisierung: Es erscheint wichtig, dass Flexibilität mit genauen Wirkungsindikatoren verknüpft ist. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die GAP wieder zu einem Restaurant-Table-Game verkommt, in dem die nationalen Regierungen das aussuchen, was einfach und politisch opportun ist.
  • Verbesserung des Prozesses: Mehr Transparenz in der GAP und freier Zugang zu wichtigen Daten im Bereich Landwirtschaft, wie die Daten zu HNV Flächen oder die Greening-Daten. Die EU Kommission hat den Zugang zu Forschungsdaten dieses Jahr signifikant verschlechtert, andere Daten stehen grundsätzlich nicht zur Verfügung. Auch dies sollte dringend verbessert werden.
  • Umwelt und Landwirtschaft zusammen denken: Integration der Umweltziele in die GAP. Oder aber die Verlagerung einzelner Förderbereiche mit Umweltrelevanz aus der Agrar- in die Umweltpolitik, wie es etwa Birdlife mit einem Naturschutzfond fordert.

Wir verstehen unser Papier als konstruktiven Beitrag zur Verbesserung der GAP. Dementsprechend gibt es Zusatzmaterial (65 Seiten), in dem wir alle unsere Aussagen mit Literatur belegen und in dem wir aus der Literatur ableiten, welche Maßnahmen die Bilanz der GAP insgesamt verbessern könnten.

Wie immer gilt: Kommentare und Fragen jederzeit gerne!

Autoren der Studie sind: Guy Pe’er, Yves Zinngrebe, Francisco Moreira, Clélia Sirami, Stefan Schindler, Robert Müller, Vasileios Bontzorlos, Dagmar Clough, Peter Bezák, Aletta Bonn, Bernd Hansjürgens, Angela, Stefan Möckel, Gioele Passoni, Christian Schleyer, Jenny Schmidt & Sebastian Lakner

Link zur Originalstudie

Link auf Researchgate (open access)

 

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