Im folgenden Beitrag werden ich mich mit der Entscheidung des BMEL vom 06.08.2022, GLÖZ 7 (Fruchtwechsel) und GLÖZ 8 (Brachflächen) in 2023 auszusetzen, beschäftigen und der Frage nachgehen, welche Motive möglicherweise hinter der Entscheidung und hinter der strikten Ablehnung der Brachen durch Teile des Berufsstandes stecken. Meine These ist, dass wir einerseits ein fachliches Vermittlungsproblem haben. Andererseits legt die umweltpolitisch fragwürdige Entscheidung des BMEL die ganze systematische Schwäche der aktuellen GAP 2021-2027 offen. Die Direktzahlungen sind erneut der Kern des Problems. Es wäre sinnvoll, die Reformdebatte für die GAP nach 2027 jetzt zu beginnen.

Zur Entscheidung
Am 27.Juli 2022 veröffentlichte die EU-Kommission eine Durchführungsverordnung 2022/1317, die den Mitgliedsstaaten ermöglichte, im Antragsjahr 2023 die geplante Anwendung von GLÖZ 7 und 8 auszusetzen. Allerdings sah die Verordnung in Artikel 1 auch vor, dass auf den Flächen nicht für Mais, Soja oder Niederwald mit Kurzumtrieb genutzt wird. Der Vorschlag sah nicht vor, dass Mitgliedsstaaten einen reduzierten Prozentsatz bei den vorgesehen 4% der Brache (GLÖZ 8) anzuwenden. Dies war mehrfach von Wissenschaftlern als möglicher Minimalkompromiss ins Spiel gebracht worden, wurde aber von der EU-Kommission nicht ermöglicht.
Das BMEL beschloss darauf hin, diesem Vorschlag zu folgen mit einer Ausnahme: Die im Antrag für Direktzahlungen 2021 und 2022 registrierten Brachen (im Rahmen der Ökologischen Vorrangfläche) bleiben „geschützt“. Dies betrifft einen Flächenumfang von etwa 169,1 tsd. ha.
„Bei GLÖZ 8 sollen Betriebe auf den stillzulegenden Ackerflächen in 2023 Getreide (ohne Mais), Sonnenblumen und Hülsenfrüchte (ohne Soja) anbauen können. Von dem ausnahmsweisen Anbau in 2023 ausgeschlossen werden sollen des weiteren Flächen, die die Betriebe sowohl in 2021 als auch in 2022 als nicht für die Erzeugung genutzt bzw. als Brache (Ökologische Vorrangfläche) im Förderantrag deklariert haben. Damit gehen wir in unserem Vorschlag über die Anforderungen der Kommissionsverordnung hinaus, um bestehende Brachflächen, die für Artenvielfalt und Klimaschutz besonders wertvoll sind, gezielt zu schützen.“
BMEL 2022, FAQ-Liste zur Entscheidung vom 09.08.2022
Der Vorschlag der EU-Kommission hat diese Einschränkung auf bestimmte Kulturen vorgesehen. Der Schutz von bestehenden Greening-Brachen ist dagegen eine Spezialität der deutschen Umsetzung und dieses Detail sichert ein umweltpolitisches Mindestmaß, da zumindest die bisher registrierten Greening-Brachen nicht umgebrochen werden.
Welche Wirkungen gehen von der Maßnahme aus?
Durch die Aufhebung dieser Verpflichtung erhalten die Betriebe in 2023 Direktzahlungen ohne dafür aufgrund von GLÖZ 8 zusätzliche Biodiversitätsflächen registrieren zu müssen. Auch die Vorgaben zum Fruchtwechsel (GLÖZ 7) müssen nicht eingehalten werden. Es entstehen somit deutlich weniger Kosten für den Erhalt der Direktzahlungen und die Flächen stehen (sofern sie nicht 2021/22 als Brachen registriert wurden) zur Produktion zur Verfügung. Das BMEL schätzt die dadurch zu erwartende Getreidemenge wie folgt ein:

Gleichzeitig entstehen durch diese Aufhebung deutlich weniger Umweltwirkung durch die Direktzahlungen, wie dies zunächst mit der Reform 2021 angedacht war. Die zusätzliche vorteilhafte Wirkung auf Biodiversität und Agrarökosysteme wird somit auch im dritten Jahr der siebenjährigen GAP-Förderperiode 2021-2027 nicht erzielt.
Es zeigt sich auch, dass die Aufhebung des Fruchtwechsels vermutlich eine höhere Effektivität aufweist, während durch die Aufhebung der Brache-Verpflichtung lediglich 0,6 bis 1 Mio. Tonnen Getreide geerntet werden. Im Vergleich dazu haben wir in unserer Studie vom Juni 2022 deutlich größere Hebelwirkungen durch andere Maßnahmen berechnet.

Es zeigt sich, dass eine Aussetzung von Biokraftstoffen sehr viel höhere Mengen zu erwarten sind. Auch die Marktanpassungen z.B. am Markt für Schweine oder in der Milchproduktion dürften deutlich größere Mengen freisetzen. Die marginale Getreidemenge steht in einem schlechten Verhältnis zu den erneut zeitlich verschobenen Umweltleistungen wie dem ausbleibenden Erhalt der Artenvielfalt und der fehlenden strukturellen Verbesserung von Agrarökosystemen.
Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit die durch das Aussetzen von GLÖZ 7 und 8 erhöhte Getreideproduktion wirklich der internationalen Nahrungsmittelversorgung zur Verfügung steht. Auch die Preise für Futtergetreide waren zwischenzeitlich hoch und es ist damit zu rechnen, dass die getroffene Maßnahme auch den Futtermittelmarkt entlastet. Wenn Weizen auf Weizen angebaut wird (GLÖZ 7), so wird im zweiten Fruchtfolgegelied Weizen vermutlich eher eine Futterqualität erzeugt. Ähnliches ist auf Brachflächen zu erwarten. In beiden Fällen gibt es mit Sicherheit auch Ausnahmen.
Die Produktion von Futter ist an sich in Ordnung und eine normale und gewünschte Marktreaktion. Aber auch in diesem Punkt hält das BMEL an der Fiktion fest, es ginge um die Welternährung und die Menschen in Entwicklungsländern. De facto wird auch die Nachfrage am Futtermarkt bedient. Özdemir schreibt in der BMEL-Pressemitteilung, er „nehme die Akteure beim Wort“, dass vor allem der Teller, und eben nicht Trog und Tank bedient würden.
„Ich nehme alle beim Wort: Ich schließe diesen Kompromiss für den Teller, nicht damit Getreide im Tank oder Trog landet – und unsere Ausnahme gilt ausdrücklich nur für 2023. Auch da nehme ich alle beim Wort und auch in die Pflicht. Denn die Länder müssen diesem Kompromiss noch zustimmen. Für mich steht auch fest, dass ich keine Verordnung unterschreiben werde, die den Hunger in der Welt als Argument missbraucht, um mehr für Tank und Trog zu produzieren und beim Artenschutz hinter das, was wir schon erreicht haben, zurückzufallen.“
Cem Özdemir in der BMEL-Pressemitteilung vom 9.8.2022
Dieses Zitat klingt angesichts der Sachlage wie das Pfeifen im Wald: Es ist zu erwarten, dass durch die Produktion die Nachfrage für Futtermittel und für Biokraftstoffe bedient wird. Es gibt vermutlich kaum eine Möglichkeit, die Verwendung der produzierten Agrarrohstoffe zu kontrollieren – es sei denn, man reguliert die Verwendung direkt, worauf jedoch verzichtet wurde. Ein Teil der Ernte wird (gerade bei trockener Witterungslage) als Futter verwendet wird. Andererseits können durch den Zugewinn an Futter auch andere Partien als Backgetreide verwendet werden, d.h. in der Mitte des Spektrums kann es zu einer Substitution kommen. Kann, muss nicht. Vieles hängt dann vom Nachfrageverhalten und den Ansprüchen an den Proteingehalt der Industrie und des Bäckerhandwerks ab. Sollte man in der Protein-Debatte weiterhin auf Durchzug schalten, dann ändert sich an den Mengenverhältnissen kaum etwas und die Entscheidung würde hauptsächlich für eine Entlastung an den Futtermärkten sorgen.
Es zeigt sich, dass die Brachen in der Debatte (wie vielfach dargestellt) „völlig überschätzt“ wird (Harald Grethe am 28.07.2022 im Interview mit Deutschlandfunk) im Hinblick auf einen möglichen Ausgleich von fehlenden (Back-)Getreidemengen auf dem Weltmarkt. Beim Artenschutz wird es auch 2023 keine großen Fortschritte geben. Es fehlen weiterhin auch andere (förderpolitische) Maßnahmen, die die Aussetzung von GLÖZ 8 in irgendeiner Weise kompensieren. Insofern überzeugt diese Entscheidung überhaupt nicht.
Die Entscheidung verhindert zwar das größte anzunehmende Desaster (Umbruch der Greening-Brachen, die erhalten bleiben). Aber ansonsten lässt das neuerdings grün geführten BMEL hier jedwede umweltpolitische Ambition vermissen. Die EU-Kommission hatte dem BMEL bereits im Frühjahr mangelnde umweltpolitische Ambition als Rückmeldung für den Strategieplan gegeben, damals konnte jedoch darauf verwiesen, dass der Strategieplan die Handschrift der Vorgängerregierung trägt. Mit Recht. Doch inzwischen sind Umwelt- und Agrarministerium seit mehr als einem halben Jahr mit den Ministern Cem Özemdir und Steffi Lemke fest in grüner Hand, so dass diese einseitige Krisenreaktion zu Lasten von umweltpolitischen Zielen und ohne jede Perspektive verwundert. Und anders als in der Wirtschafts-, Energie- und Finanzpolitik, fehlen hier sachliche Zwänge, da es effektivere und ordnungspolitisch sinnvollere Alternativen gegeben hätte.
Mögliche Ursachen für die Entscheidung
Obwohl sich im Vorfeld einige Wissenschaftler gegen die Aufhebung von GLÖZ 8 ausgesprochen hatten (siehe z.B. die Bundestagsanhörung vom 16.05.2022), stellt sich die Frage, warum das BMEL eine solche Entscheidung getroffen hat.
Ursache 1: Gezielte Diskursverdrehung der Agrarlobby in Brüssel und Berlin
Zwei wichtige Faktoren haben am Ende zu einer Entscheidung geführt. Die erste wichtige Ursache ist der Kampf um die Diskurshoheit, die vom Bauernverband seit März 2022 in Brüssel und Berlin geführt wurde. Es verging keine Woche, in der die Führungsriege um Joachim Ruckwied auf die eine oder andere Weise auf die dramatische Lage der Welternährung hinwies. Diesem Narrativen mangelt es mindestens an Glaubwürdigkeit. Und obwohl die Argumente in der Presse inhaltlich kaum verfingen (viele Journalisten kauften das Argument nicht), blieb es am Ende irgendwie hängen.
Nun ist die Lage der Welternährung aktuell tatsächlich prekär. Die Agrarpreise für Getreide und Ölsaaten sind bis Juni 2022 teilweise auf Rekordniveau gesteigen (siehe Preisdaten der EU-Kommission von 08/2022) und stellen importabhängige Entwicklungsländer vor finanzielle Herausforderungen. Entwicklungspolitische Organisationen und das World Food Program (WFP) machen zu Recht auf die brenzlige Lage aufmerksam. Allerdings war die Lage bereits 2021 schwierig.
Des Weiteren liegen die Hauptursachen für die Knappheit am Weltmarkt in der breiten Nutzung von Biokraftstoffen und im hohen pro Kopf-Fleischkonsum in den Industriestaaten. Jede Hinweis auf diese zwei Ursachen und das Skizzieren von möglichen Stellschrauben wurde jedoch vom Bauernverband und von anderen konventionellen Landwirten in sozialen Netzwerken in teilweise aggresivem Ton zurückgewiesen. Man sorgt sich also um die Welternährung, aber wichtige Einnahmequellen der Landwirtschaft und der Futtermittel und Biokrafstoffindustrie waren sakrosankt und Änderungen völlig unmöglich. Nun ja. Besonders überzeugend ist diese Haltung nicht und es ist eben das, was Özdemir oben als „Missbrauch“ eines Argumentes bezeichnet. Das Narrativ war jedoch platt genug, nach den Details wurde dann nicht weiter gefragt.
Ursache 2: Die EU-Kommission kommt mit schwachem Vorschlag
Der Vorschlag der EU-Kommission ist insgesamt schwach und lässt eigentlich nur eine Ja-Nein-Entscheidung zu. Ein Einstieg mit einem graduellen Prozentsatz für die Brache war scheinbar nicht möglich – obwohl dies mehrfach vorgeschlagen wurde. Und wie man (wie von der EU-Kommission vorgeschlagen) mit einem Ausbau von Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen den Verzicht auf GLÖZ 8 kompensieren soll, ist mir bisher schleierhaft, zumal in Deutschland die Bundesländer für die II. Säule zuständig sind. Aber es war ziemlich schnell, dass in Brüssel breite Zustimmung war. Der Lobby-Druck hatte im Brüsseler Ministerrat offenbar derart gewirkt, so dass Deutschland im Rat dieses Mal Mitstreiter fehlte. Es wäre erneut ein deutscher Minister gewesen, der gegen viele andere Agrarminister im Rat hätte argumentieren müssen.
Wo liegt das eigentliche Problem?
Der Entscheidung ging seit März 2022 eine lange und emotionalisierte Debatte um die Brachen voraus, in der vor allem die Vertreter der konventionellen Landwirtschaft immer wieder für sich in Anspruch nahmen, einzig die Welternährung im Blick zu haben. Allerdings ging es immer im Wesentlichen darum, die Brachen zu zerreden. Hinweise auf andere Lösungen wie eine Reduktion des Fleischkonsums wurden mit dem Hinweis gekontert, das sei „übergriffig“ und man könne den Konsument*innen das nicht zumuten. Und anstatt korrekt von „Biodiversitätsflächen“ zu reden, wurde immer wieder der Begriff der Stilllegung verwendet (leider auch in den Darstellungen des BMEL), obwohl Ziele und Motivation der 2008 ausgelaufenen Stilllegungen völlig andere waren (Marktentlastung) als die Ziele der Biodiversitätsflächen (Umwelt). Im Extremfall wurde von „Zwangsbrachen“ gesprochen, alles wurde im Ton maximaler Aufgeregtheit geschrieben: „Weizen hängt in der Ukraine fest – und Deutschland legt die Äcker still“ titelte die WELT am 29.Juli, nachdem die eigene Wissenschaftsredaktion noch im April ziemlich korrekt („Der Streit um das Brache Land„) über den Sinn von Brachen berichtet hatte.
Insgesamt wurde die Debatte in weiten Teilen nicht sachlich geführt und es kam wiederholt zu Eskalationen und Hasskommentaren. Auf Twitter fanden Dialoge des Grauens oder „Unterhaltungen zwischen Tauben“ statt (Begriff von Deborah Stone, zitiert nach Jeroen Candel). Die Fakten spielten keine Rolle, die politische Sichtweise dominierte die Konversationen und so eskalierten die Debatten häufig. Dies wird durch diese politische Entscheidung, die wissenschaftliche Empfehlungen in den Wind schlägt, nicht besser.
Die Frage ist, warum so viel Aufheben um die Brachen gemacht wird und warum die Emotionen derart hochschlugen. Ich habe ein einem vorangehenden Post beschrieben, dass die Brachen ein geeignetes Mittel für die Verbesserung von Agrarökosystemen sind. Wissenschaftlich gibt es dafür viele Belege, selbst wenn es im Einzelfall immer auf die Umsetzung und auch den speziellen Standort für eine Brache ankommt. In der Debatte wurden folglich von konventionellen Landwirten zahllose Argumente und Beispiele angeführt, warum Brachen angeblich nicht sinnvoll oder wirksam seien.
Kommunikationsprobleme: Ein Teil des Berufsstands mag die Brachen nicht.
Die naturschutzfachlich belegbaren Vorteile der Brache konnten bisher bei einem Teil der Landwirtschaft nicht hinreichend vermittelt werden. Einige Akteure stellten sich auf Twitter auch über Monate bewusst dumm und ignorierten alle fachliche Hinweise und Belege (– was im Fall einiger „Agrarjournalisten“ besonders peinlich ist, zeigen Sie doch eine eindeutige ideologische Parteinahme gegen diese Maßnahme und eine Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Befunden.) Doch selbst wenn man als Landwirt die Vorteile kennt, fehlt hier offenbar die Motivation für eine Umsetzung von GLÖZ 8. (Warum es vielleicht vernünftige Gründe für diese Haltung gibt, werde ich weiter unten darstellen.) Landwirte, die für so eine Biodiversitätsmaßnahme nicht motiviert sind, werden auch nicht versuchen, die Brache als sinnvolles Instrument in der Fruchtfolge einzusetzen. Die potenzielle naturschutzfachliche Wirkung dürfte entsprechend gering ausfallen. Die Naturschutzseite und auch Teile der Agrarökologie sollten dringend überlegen, wie man die Vorteile der Brache besser vermitteln kann. Aber das ist nicht alles.
Die Brachen werden im Berufsstand von vielen als Zwang empfunden (– nicht von allen, es gibt Landwirte, die durchaus für Brachen aussprachen, aber die Gegener waren seit März ziemlich laut in sozialen Netzwerken.) Auch diese Haltung sollte bei der weiteren Ausgestaltung Agrarpolitiken besser beachtet werden. Eigentlich ist GLÖZ 8 kein Zwang, sondern ein Kriterium, das zum Erhalt von Direktzahlungen berechtigt – über diese schlichte Tatsache wurde regelmäßig hinweggesehen. Betriebe können frei entscheiden, ob sie die Direktzahlungen (eigentlich „Einkommensgrundstützung für Nachhaltigkeit“) beantragen und dafür die Brachen-Verpflichtung einhalten müssen. Oder ob sie es schlichtweg bleiben lassen. Natürlich spricht ökonomisch manches dafür und so groß sind die Freiheitsgrade für eine Entscheidung nicht. Aber es ist eben formal betrachtet kein „Zwang“.
Die Debatte zeigt, dass die quasi „ordnungspolitische Verknüpfung“ von Direktzahlungen und Brachen inhaltlich gescheitert ist. Die Betriebe akzeptieren offenbar eine stärkere Umweltausrichtung der Direktzahlungen nicht und erwarten weiterhin eine Einkommenszahlung. Und wenn diese seit 1992 etablierte Zahlung dann auf 4% der Ackerfläche das Anlegen von Brachen verlangt, wird dies als Zwang gesehen. Die EU-Kommission und das BMEL haben sich mit dieser „Begrünung der Direktzahlungen“ verkalkuliert und es fällt auf das Konzept einer mangelhaften GAP-Reform 2021 zurück.
Wie sieht eine (vereinfachte) ökonomische Abwägung aus?
Der mögliche Einkommensverlust bei einer Teilnahme an einer Agrarumweltmaßnahme wird mit dem Begriff „Opportunitäskosten“ bezeichnet. Die Brachen haben regional sehr unterschiedliche Opportunitätskosten, die zwischen ca. 200 und 2.000 EUR/ha liegen. Für die Höhe der Opportunitätskosten spielen Bodenqualität, Ertragspotenzial und das regionale Pachtniveau eine wichtige Rolle. Die regionalen Landpreise (Pacht) selbst werden widerum von der regionalen Viehbesatzdichte, dem Ausmaß der Tierhaltung beeinflusst. Im Rahmen des Projektes GAPEVAL wurde vom Thünen-Institut regional untersucht, wo sich Brachen befinden und was mögliche Treiber der regionalen Verteilung von Brachen sind. Es ist hier (vereinfacht) damit zu rechnen, dass in Teilen Ostdeutschlands (BB, Süd Mecklenburg-Vorpommern und Nordsachen) geringe Kosten auftreten, während in den ackerbaulichen Gunstregionen und in den viehbesatzstarken Regionen (v.a. Südoldenburg, Ostfriesland und Allgäu) hohe Kosten zu erwarten sind. Hohe Bodenpreise sind ein handfestes Gegenargument, da die Umsetzung von Brachen bei hohen Bodenpreisen besonders teuer ist. Es wäre gut, wenn solche Argumente stärker in die Agrarumweltpolitik berücksichtigt würden, etwa durch Prämien, die nach regionaler Bodenqualität gestaffelt sind.
Die folgende Abbildung zeigt die regionale Verteilung der Kosten für eine Brache:

In welchem Verhältnis steht GLÖZ 8 zu den Direktzahlungen?
Geht man nun (stark vereinfachend) von einem Betrieb aus, der 100 ha Ackerland im Eigentum bewirtschaftet (eine vermutlich unrealistische Annahme) und der ca. 150 EUR/ha Direktzahlung empfängt, so bekommt dieser Beispielbetrieb insgesamt 15.000 EUR an Direktzahlungen. Bei einer Verpflichtung von GLÖZ 8 von 4% Brache Brache, ergibt dies eine Verpflichtung von 4 ha Biodiversitätsfläche. Geht man nun von einem Fall vergleichsweise hoher Opportuntitätskosten von Kosten von 1.500 EUR/ha aus, was Gesamtkosten für die Brache von 6.000 EUR erzeugt. Diese stehen der Summe von Direktzahlungen von 15.000 EUR gegenüber, es verbleibt immer noch ein Restbetrag von 9.000 EUR (= 60%). D.h. selbst bei hohen Opportunitätskosten verbleibt ein Restbetrag von 90 EUR/ha auf der Betriebsflächen, der aber zugegeben deutlich niedriger sind als die ursprünglichen 150 EUR/ha ist. Insgesamt ergibt sich eine theoretische Grenzzahlung von 3.750 EUR/ha, bis zu der sich eine Teilnahme an den Direktzahlungen lohnt. Solche Deckungsbeiträge erzielt man lediglich bei Gemüse, Obst, Sonderkulturen. Aber ganz so einfach ist es eben nicht:
Es ist zunächst klar, dass sich durch hohe Opportunitätskosten die Einkommenswirkung der Direktzahlungen reduziert. Des Weiteren ist zu bedenken, dass bei Pachtflächen Direktzahlungen an den Land-Eigentümer weitergereicht werden. D.h. wenn ein substanzieller Teil der Flächen in Pacht bewirtschaftet werden, müsste dies von der Gesamtsumme der Direktzahlungen abgezogen werden und das Kalkül geht keineswegs mehr so klar aus. Andererseits ist die Entscheidung, Direktzahlungen zu beantragen, nicht mehr frei, da man die Direktzahlungen für die Begleichung der Pacht benötigt. Für manche Betriebe ist die Entscheidung für oder gegen Direktzahlungen eben doch nicht völlig frei – was jedoch nur zeigt, dass die Direktzahlungen inzwischen ein höchst fragwürdiges Instrument sind.
Es stellt sich somit die Frage, wie hoch der Anteil an Flächen im Eigentum ist, damit überhaupt etwas von den Direktzahlungen bei den aktiven Bewirtschaftern ankommt und nicht an die Landeigentümer als „Rente“ weitergereicht wird. Es ist zu erwarten, dass bei Betrieben mit hohem Pachtanteil UND hohen Opportunitätskosten eine starke Ablehnung der Brachen besteht, aus eben nachvollziehbaren Gründen. Und der Druck auf dem Landmarkt macht die Umsetzung von GLÖZ 8 insgesamt zu einem ökonomisch schwierigen Unterfangen. Ein wichtiger Teil der Unwilligkeit mag aus einem solchen Kalkül kommen und natürlich sollte ein solcher Faktor ernst genommen werden. Das Problem besteht insgesamt also nicht nur im Verdrängen von naturschutzfachlichen Erkenntnissen, sondern auch ökonomischer Druck spielt eine wichtige Rolle.
Brauchen wir 2022 eine Einkommensgrundstützung?
Die Direktzahlungen heißen seit der Reform 2021 „Einkommensgrundstützung für Nachhaltigkeit“, d.h. es soll (so die Idee der EU-Kommission) einerseits das landwirtschaftliche Einkommen gestützt werden und andererseits soll ein Beitrag zur Nachhaltigkeit erzielt werden. Kalkuliert man mit aktuellen Preisen und Kosten, so ist zu erwarten, dass vor allem in der Pflanzenproduktion dieses Jahr höhere Deckungsbeiträge erzielt werden können (je nach Datum des Betriebsmitteleinkaufs und einer möglichen Absicherung auf Warenterminmärkten). Es stellt sich die Frage, warum in so einer Situation weiterhin das Einkommen von Betrieben (und von Landeigentümern) gestützt werden muss, wenn gleichzeitig der mögliche Nachhaltigkeitsbeitrag für 2023 ausgesetzt wird. Teil des Problems liegt auch darin, dass die Direktzahlungen den Pachtmarkt anheizen. Bei höheren Gewinnen dürfte sich dies kurzfristig erhöhend auf Pachten auswirken, aber was, wenn die Gewinne 2023/24 nicht mehr so hoch ausfallen?
Eine sinnvolle Krisenantwort könnte auch darin bestehen, im gleichen Schritt mit der Aussetzung von GLÖZ 8 auch die Direktzahlungen zu kürzen und die Gelder für verbesserte Agrarumweltmaßnahmen oder Öko-Regelungen zur Verfügung zu stellen. Dies würde Druck von den Landmärkten nehmen und die Möglichkeit von Kompensationsmaßnahmen schaffen.
Aus Sicht der Steuerzahler wäre eine Stärkung von Umweltmaßnahmen sehr viel besser zu rechtfertigen. Mit der Entscheidung Özdemirs werden dagegen weiterhin Steuermittel gezahlt, ohne dass zusätzliche Umweltwirkungen erzielt werden. Und es ist ungefähr einhundertmal angemerkt worden, dass die Direktzahlungen auch verteilungspolitisch wenig sinnvoll sind. Und es ist aktuell unklar, wie das BMEL diese fehlende Umweltwirkung möglicherweise über die Förderlinien der GAP (Öko-Regelungen, AUKM) verbessern möchte. Auf diesem Blog ist wiederholt auf Empfehlungen aus der Wissenschaft hingewiesen worden, die immer für eine Umsetzung von Umweltzielen freiwillige Fördermaßnahmen plädiert hat und nicht über eine derart verquere, ordnungspolitische Maßnahme.
Schlussfolgerungen:
Welche Schlussfolgerungen kann man aus der BMEL-Entscheidung ziehen?
- Biodiversität über Förderpolitik umsetzen: Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität und der Agrarökosysteme sollten besser über förderpolitische Instrumente umgesetzt werden, am besten über die AUKM der II. Säule, da man hier gezielter fördern kann. Die Verknüpfung der Brachen mit den Direktzahlungen hätte zwar einen Flächeneffekt erzielt, aber wenn dieser ordnungspolitische Ansatz nicht auf Akzeptanz stößt, wird es schwierig. In letzter Konsequenz bedeutet dies jedoch auch, dass sich einige Betriebe deutschlandweit nicht mehr am Schutz der Biodiversität beteiligen werden.
- Die Vorteile der Brache besser vermitteln: Die Brache-Regelung GLÖZ 8 wird 2024 kommen und bis 2027 bleiben. Drei von vier Jahren sind dann die GAP. Wenn die Brachen kommen, wäre es wichtig, im Berufsstand Überzeugungsarbeit zu leisten und die Vorteile zu vermitteln.
- Direktzahlungen perspektivisch auslaufen lassen: Der Ansatzpunkt der GAP-Reform 2021 bestand darin, die Direktztahlungen zu einer breiten Nachhaltigkeitszahlung umzugestalten. Im Berufsstand hat dieses Konzept der Kommission offenbar nicht gefruchtet, aus der Wissenschaft gab es von Beginn an viel Skepsis gegenüber dieser Verknüpfung. Die Praxis 2022 zeigt jetzt, dass die Direktzahlungen weiterhin ein einkommenspolitisches Instrument sein werden, das kaum Umweltwirkung erzielt. Mit der Entscheidung der EU-Kommission und des BMELs wurde dieser Idee einer Nachhaltigkeitszahlung der letzte Zahn gezogen. Es ist zu empfehlen, das Instrument der Direktzahlungen zeitnah zu beenden und die Steuermittel sinnvoller für gesellschaftliche Ziele einzusetzen.
- Alternative Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität anbieten: Das BMEL und die Bundesregierung sollten dringend überlegen, welche Kompensationsmaßnahmen für die Biodiversität angeboten werden können. Die Öko-Regelungen und die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sollten angesichts hoher Weltmarktpreise mit höheren Prämien versehen werden.
Schlagwörter: Agrarpolitik, Agrarumweltpolitik, Brachen, Cem Özdemir, Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), GLÖZ 8
18. August 2022 um 12:00 |
Danke für die brilliante Analyse.
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24. August 2022 um 11:00 |
Hallo Sebastian, vielleicht schon gesehen. Bauer Willi hat diesen Artikel in seinem Blog zur Diskussion gestellt. Und einen Link zu „Prof. Dr. Sebastian Lakner“ eingefügt, mit dem man interessanterweise auf Dein Beratungsunternehmen geführt wird, aber nicht auf Deinen Lehrstuhl in Rostock. Honi soit qui mal y pense
Beste Grüße aus dem staubtrockenen Rheinhessen
Günter Deinzer
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24. August 2022 um 11:57 |
Vielen Dank für den Hinweis. Tja, da muss ich Herrn Kremer-Schillings wohl mal darauf hinweisen, dass dieses Büro immer nur ein Einmann-Betrieb war, der vor allem bis 2011 genutzt wurde, aber inzwischen seit einigen Jahren nicht mehr genutzt wird. Wer da die Projektseite liest, findet Projekt bis ca. 2018, als ich noch in Göttingen war. Ein Link zu meinem Lehrstuhl wäre an der Stelle zwar besser, allerdings schreibe ich auf meinem Blog meine „private Meinung“, insofern ist v.a. der Link auf meinen Blog angemessen.
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