Jamaika-Koalitionsverhandlungen zum Thema Landwirtschaft: Das Gute, das Schlechte und die Unklarheiten

CSU/CSU, FDP und Grüne haben zwei Wochen lang eine Koalition sondiert und haben im Bereich Agrarpolitik ein erstes kurzes Papier ausgehandelt. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, wie dieses Ergebnis politisch zu bewerten ist. Die vorläufige Analyse zeigt, dass an einigen Punkten schon eine mögliche Linie erkennbar ist, dass es jedoch viele kleine Details gibt, die enttäuschend oder unklar sind. Alle Partner müssen in den nächsten zwei Wochen noch nachlegen, damit aus diesem Papier ein Programm wird, das für vier Jahre Regierungsarbeit durchträgt.

Ausgangslage

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24.September 2017 brachte eine Zusammensetzung des Bundestages mit sieben Parteien, das in der bundesdeutschen Geschichte in vielfältiger Hinsicht außergewöhnlich ist. Mit der AfD ist erstmals eine in Teilen rechtsextreme Partei in den Bundestag eingezogen, was in den nächsten vier Jahren eine Herausforderung für die Parteien des demokratischen Spektrums darstellt.

Warum sollten vier Parteien miteinander eine Koalition eingehen, die so verschieden sind? Die Große Koalition hat dramatisch verloren (-13,8%) (vgl. Tagesschau.de). Die SPD musste einen Verlust von 5,2% verkraften und hat daher eine Fortsetzung des Bündnisses abgelehnt. Auch die CDU hat 8.5% verloren, so dass einfache Zweierbündnisse nicht mehr möglich sind. Mit der rechtsextremen AfD will zu Recht keiner koalieren. Die einfachen Zweikonstellationen  (GroKo ausgenommen) fehlen, auch ein linkes Bündnis oder ein einfaches schwarzgrünes Bündnis sind anders als 2013 nicht mehr möglich. Die sog. Jamaika-Koalition von CDU/CSU, Grünen und FDP bleibt als einzige mögliche Option, die einigermaßen realisierbar erscheint.

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Jamaika-Verhandlungen in Berlin: Eine neue Politik für den Ländlichen Raum?

Es gibt viele Konfliktfelder zwischen den vier Parteien, eines davon ist das Thema Landwirtschaft. Der Agrar-Blogger, Bernhard Barkmann hatte bereits einen Tag nach der Wahl, am 25.09.2017 unter der krachenden Überschrift „Droht uns ein Bauernopfer“ aus Sicht des Berufsstandes vor einem solchen Bündnis gewarnt. Sein Argument war, dass landwirtschaftliche Interessen von CDU/CSU und FDP zu Gunsten von Kompromissen mit den Grünen auf anderen Feldern geopfert werden könnten und man den Grünen das Feld der Agrarpolitik überlässt. Diese pessimistische Sichtweise auf ein Jamaika-Bündnis basiert jedoch auch auf der Sichtweise, dass die Grünen per se gegen landwirtschaftliche Interessen Politik machen. Dies ist jedoch nicht von vorne herein zutreffend, sondern drückt hauptsächlich die Vorbehalte konventioneller Landwirte gegenüber Grünen und Umweltverbänden aus. Es besteht ein tiefer Graben zwischen Teilen der Landwirtschaft und Umwelt und Verbraucherschützern und genau diesen Konflikt könnte eine Jamaika Koalition im besten Fall befrieden.

Die Aufgabe

Die Aufgabe besteht darin, dass am Ende der Verhandlungen mehr herauskommt als nur eine Reihe von Formelkompromissen. Der Schleswig-Holsteiner Grüne Robert Habeck hatte am 02.Oktober 2017 bei Anne Will davon gesprochen, dass die neue Koalition eine gemeinsame Idee formulieren müsse, mit der die neuen Regierung ihre Politik erklärt kann. Die neue Koalition muss neben den Inhalten auch ein gemeinsames Narrativ finden, mit dem sie positiv für ihre eigene Politik wirbt. Gerade dies scheint jedoch besonders schwierig, da die einzelnen Parteien im Wahlkampf mit sehr unterschiedlichen Erzählungen für sich geworben hatten.

Das Potenzial

CDU/CSU sind im Bereich Agrarpolitik hauptsächlich Besitzstandswahrer und haben einen engen Draht zum Deutschen Bauernverband. Den Christdemokraten geht es um die Förderung einer „bäuerlich-unternehmerischen Landwirtschaft“, was ein verquerer Begriff für eine Förderung von Familienbetrieben ist. Häufig bestehen die Positionen der Union allerdings in einem „Weiter-so“ für den Sektor, was angesichts der Kritik von Verbrauchern und Umweltschützern an bestimmten landwirtschaftlichen Praktiken kaum hinreichend erscheint.

Die liberale FDP vertritt in ihrem agrarpolitischen Programm eher konservative Positionen. Es geht lt. FDP darum, landwirtschaftliche Einkommen zu sichern. Die FDP ist allerdings Technologie-affin und spricht sich z.B. für die grüne Gentechnik aus, bei der CDU/CSU eher zurückhaltend sind.

Die Grünen wollen die Agrarpolitik reformieren. Hierbei werden die Förderpolitik und die Ordnungspolitik den Ziele im Bereich Umwelt und Tierwohl untergeordnet, was viele Landwirte allerdings fachlich kritisieren. Die politischen Schwerpunkte der Flügel sind jedoch etwas unterschiedlich: Der pragmatische Flügel spricht sich z.B. für eine deutliche Reformen der EU Agrarpolitik aus und fordert z.B. eine Abschaffung der Direktzahlungen (Siehe Habeck / Häusling-Papier). Die Landesminister des pragmatischen Flügels treten auch verbal eher moderat auf. Der linke Flügel möchte dagegen die EU-Direktzahlungen beibehalten und stellt eher die Umverteilung dieser Einkommensbeihilfen in das Zentrum. Beim linken Flügel stehen ordnungspolitische Überlegungen stark im Vordergrund.

Wenn es gut läuft, kann der Landwirtschaft nichts Besseres passieren als ein Jamaika-Bündnis:

  • Die Grünen bringen ihre Reformideen im Agrarbereich in eine Koalition ein und sorgen dafür, dass die Landwirtschaft wieder mehr Anerkennung bei kritischen Verbrauchern bekommen.
  • Die FDP achtet darauf, dass die Politikmaßnahmen auch marktkonform sind und dass ordnungspolitisch keine Fehlsteuerungen vorgenommen werden.
  • Die CDU/CSU achten darauf, dass Reformen als moderate Übergänge gestaltet werden und man dem Berufsstand auf dem Reformpfad mitnimmt.

Am Ende kommt ein Kompromiss heraus, der dem Sektor bei seiner Erneuerung hilft: Eine Versöhnung von Ökologie und Markt, bei der der Berufsstand mitgenommen wird. Das ist zugegeben eine optimistische Sichtweise, es ist klar, dass auch über Agrarpolitik gestritten wird. Aber zumindest gäbe es dieses Potenzial.

Das Gute

Das Papier zeigt zunächst, dass die neuen Bündnispartner sich auf einige sinnvolle Reformideen einigen konnten. Der Berliner Agrarökonom Harald Grethe hat den Handlungsbedarf der Agrarpolitik kürzlich bei einem Vortrag am 26.10.2017 in Göttingen auf den einfachen Nenner gebracht: Agrarpolitik sollte sich hauptsächlich an öffentlichen Gütern orientieren. Diese Haltung habe ich mehrfach auch auf diesem Blog vertreten. Und wer das Papier wohlwollend liest, sieht an verschiedenen Stellen Elemente einer solchen Politik:

  • Zum Thema Tierwohl schreiben die Bündnis-Partner: „Wir wollen einen gesellschaftlichen Konsens für die Nutztierhaltung herstellen, den Tierschutz voran bringen und den Tierhaltern dabei einen verlässlichen, planungssicheren und wirtschaftlichen Weg ermöglichen, u. a. durch finanzielle Anreize.“ Es werden eine Reihe möglicher Maßnahmen aufgelistet wie eine „staatliches (verpflichtendes/ freiwilliges) Tierwohllabel“, ein Investitionsprogramme in tierwohlgerechte Ställe, die Überprüfung des Baurechtes, die Überarbeitung der Nutzierhaltungs-VO und eine Nutztierhaltungsstrategie.
  • Prüfung eines Bundesprogrammes für Gemeinwohlleistungen: Ein solches Programm könnte die Möglichkeiten der Förderung von Gemeinwohlleistungen untersuchen. In beiden Punkten greifen die Bündnispartner u.a. auch die Forderungen des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Landwirtschaft auf, der eine solche Orientierung gefordert hatte.
  • Öffentliche Güter und Umwelt: Das Papier nennt eine Reihe von Technologien, mit denen Umweltverbesserungen erreicht werden können. Hier steht Verfahren wie „Precision Farming“, Digitalisierung, biologische Mittel in einer Reihe mit dem Ökolandbau. Es gibt unterschiedliche Wege zur Nachhaltigkeit, insofern ist das sinnvoll. Es werden als Themen die Überprüfung von besonders toxischen Präparaten und die Lenkungswirkung von Steuern/Abgaben als Themen gelistet. Selbst FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sprach sich vor der Presse für das Ziel aus, den Einsatz von Antibiotika „überflüssig zu machen“ und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erheblich zu reduzieren (vgl. Tagesschau vom 01.11.2017).
  • Verbraucherschutz: Auch beim Verbraucherschutz gibt es einige sinnvolle Punkte. Allerdings stand der Verbraucherschutz unter Justizminister Heiko Maass (SPD) eher auf der Habenseite der bisherigen großen Koalition. Aber gut, wenn auch hier Gemeinsamkeiten und neue Prioritäten abzusehen sind.

Alle drei Partner singnalisieren Reformwillen bei Umwelt und Tierwohl, lediglich über die finanziellen Mittel und bei den Instrumenten besteht Uneinigkeit und dies ist zunächst vielversprechend. Man kann erkennen, dass bei den Punkten das oben skizzierte Potenzial erfüllt werden könnte, denn hier kommen Verlässlichkeit, Reformwillen und Wirtschaftlichkeit zusammen.

Das Schlechte

Es gibt Bereiche, die in dem Papier schwach sind: Hier sticht vor allem das Thema EU-Agrarpolitik ins Auge. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) ist das entscheidende Steuerungsinstrument für die Agrarpolitik bis 2021. Die nächste GAP-Reform 2020/21 fällt auch in die Legislatur eines Jamaika-Bündnis. Ich habe auf diesem Blog in den letzten Jahren den Reformbedarf in vielen Bereichen aufgezeigt. Die GAP erfüllt nicht ihre eigenen Ansprüche und verschwendet Steuergelder ohne hinreichende Lenkungswirkung zu erzielen. In diesem Bereich ist das Papier bisher völlig ambitionslos und setzt falsche Schwerpunkte.

Es wird eine „Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik“ gefordert. Allerdings sind die aufgeschriebenen Spiegelstriche, die „geprüft“ werden sollen, merkwürdig unsortiert, da z.B. ein Bundesprogramm für Gemeinwohlleistungen keine Politikmaßnahme aus dem EU-Bereich wäre. Hier zeigt sich offensichtlich die Hektik, mit der teilweise verhandelt wurde. Der einzige konkrete Punkt in der Prüfliste von Maßnahmen ist die „Deckelung“ der Zahlung der ersten Säule. Hier hat sich offensichtlich eher der linke Flügel der Grünen durchgesetzt und fordert etwas, das hochgradig kritikwürdig ist, da hiermit im Grunde die Einkommenspolitik der GAP in anderer Form fortgesetzt würde.

Einer der wichtigsten Kritikpunkte an der GAP ist aus wissenschaftlicher Sicht die Tatsache, dass die EU-Kommission im den letzten 15 Jahren nie formuliert hat, aus welchen Gründen die Landwirte Einkommensunterstützung erhalten sollen. Die Fortsetzung der Zahlungen der ersten Säule ist gesellschafts- und sozialpolitische kaum zu begründen. Umweltpolitisch ist die 1.Säule ein Desaster und daher abzulehnen.

Die EU-Kommission sagt nicht, an welchen Indikatoren sich eine solche Einkommenspolitik orientieren soll. Der einzige dargestellte Indikator, der landwirtschaftliche Betriebsgewinn ist sozialpolitisch nicht hinreichend. Sozialpolitisch ist das Familieneinkommen von landwirtschaftlichen Familien und deren Vermögenssituation, da dies auch in der sonstigen Sozialpolitik entscheidend ist. Des Weiteren muss die EU-Kommission beantworten, warum es hierfür ein Sondersystem geben soll und warum man nicht die normalen sozialpolitischen Instrumente auf nationaler Ebene wie z.B. die Einkommenssteuer nutzt.

Die Direktzahlungen orientieren sich nach Fläche, so dass große Betriebe hohe Zahlungen erhalten, während kleine Betriebe wenig erhalten. Es ist kaum anzunehmen, dass die aktuelle Ungleichverteilung geeignet ist, die einkommenspolitischen Ziele der EU Kommission zu erfüllen. Aktuell wird zwar Geld zu Gunsten kleiner Betriebe umverteilt: In Deutschland bekommen die ersten Hektare höhere Zahlungen, was allerdings an der Ungleichverteilung kaum etwas ändert. Auch eine „Deckelung“ der Direktzahlungen muss sich der Vorwurf gefallen lassen, dass hierfür eine sinnvolle Rechtfertigung fehlt. Hinzu kommt die Gefahr des Umgehungstatbestands, da große Betriebe in Ostdeutschland juristisch geteilt werden können.

Meine Erwartung an eine neue Regierung ist, dass sie eine klare Reformperspektive für die GAP entwickelt. Das hier noch angedeutete Weiter-so bringt nichts und wird auch bei den Verhandlungen zur nächsten GAP-Reform überhaupt nicht durchtragen. Die EU-Kommission muss endlich erklären, warum die Landwirtschaft immer noch Einkommensunterstützung für eine Preissenkung erhält, die bereits 25 Jahre zurückliegt.

Deutschland könnte bei der nächsten Reform innerhalb der EU die liberalen Reformkräfte unterstützen, aber dafür braucht es politisch mehr Mut. Dies erscheint auch deshalb dringend geboten, da die Briten, die traditionell die Reformkräfte vertreten haben, die EU verlassen. In diese Punkt haben sich vor allem die Besitzstandswahrer durchgesetzt. Enttäuschend ist vor allem die FDP, die als liberale Kraft hier eigentlich Flagge zeigen müsste. Dies zeigt auch die Gefahr eines Jamaika-Bündnisses: Als Koalition der Besitzstandswahrer wird dieses Bündnis nicht funktionieren, hier war schon die bisherige große Koalition nicht überzeugend und wurde nach vier Jahren vom Wähler abgestraft.

Unklarheit 1: Exporte sind ab jetzt nur noch „fair“?

Erstaunlich sind einige Aussagen in dem Papier aber auch bei der Pressekonferenz danach. Das Papier listet im Bereich EU-Agrarpolitik einen Prüfauftrag, der sich mit „Agrarexport unter fairen Bedingungen“ beschäftigen soll. Was soll damit bitte gemeint sein?

In diesem Punkt wird die Handschrift der globalisierungskritischen Grünen sichtbar: Handel gilt manchem Grünen als Ursache des globalen Übels – meiner Ansicht nach zu Unrecht. Im Hinblick auf die GAP war dieser Vorwurf viele Jahre lang nicht ganz unberechtigt, da die EU mit Exportsubventionen Produkte billig auf den Weltmarkt exportierten. Das Problem der Exportsubventionen ist jedoch Geschichte, da die Exportsubventionen seit 2013 praktisch nicht mehr gezahlt werden (siehe Abb. 1).

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Eine der wenige Errungenschaften des GAP-Reformprozesses seit 1992 war die Beendigung dieser Exportsubventionen. Was heute exportiert wird, wird unter marktwirtschaftlichen Bedingungen exportiert. Man muss als Politiker schon sehr dicke Bretter bohren, um zu zeigen, dass Handel von Agrarprodukten im Kern „unfair“ ist. Die Frage wäre dann auch, ob unsere Auto-Exporte auch fair sind für die Autoproduzenten in Frankreich, Japan und den USA?

Wie sollte so ein Punkt umgesetzt werden? Viele Entwicklungsländer sind abhängig von Nahrungsmittel-Importen. Der Agrarblogger Bauer Willi, der an den Grünen üblicherweise kein gutes Haar lässt, hat in einem aktuellen Blogbeitrag vom 5.November darauf hingewiesen, dass z.B. kaum noch Hühnerfleisch nach Afrika exportiert wird. Und wenn ein afrikanisches Land (z.B. die Länder Kamerun, Nigeria und Senegal) Importe verbietet, um den heimischen Sektor zu stärken, dann entsteht Knappheit, sodass Lebensmittel teilweise zum Schmuggelgut werden. Die eigene Produktion ist in diesen Ländern allerdings kaum gestärkt worden.

Das Narrativ der „bösen Agrarexporte“ stimmt meiner Ansicht nach nicht. Die Grünen machen es ihren Kritikern mit solchen fragwürdigen Aussagen sehr leicht. Die beschriebene Wirkung von Handelsverboten kann man zwar vielleicht nicht verallgemeinern, aber es müsste schon genau belegt werden, dass es wirklich Probleme mit Agrarexporten gibt. Insofern sehe ich hier sehr viele Fragen.

Es wird deutlich, dass einige Narrative der Grünen veraltet sind. Ich habe in den letzten Jahren (im gegensatz zu den 2000er Jahren) kaum aktuelle Argumente gehört, die wirklich dafür sprechen, dass man Handel beschränkt. Auch die höheren Handelskosten durch den bevorstehenden Brexit zeigen, dass eigentlich alle liberalen Kräfte ein Interesse am Freihandel haben sollten. Auch die Haltung der Grünen zu CETA ist fragwürdig, da viele Kritikpunkte von NGOs und der Zivilgesellschaft in den Verhandlungen mit Kanada in den Verträgen aufgenommen wurden und die Kritik überhaupt nicht mehr zutrifft. Die Haltung der Grünen zum Thema Handel wird aus Sicht der Wissenschaft zu Recht kritisiert: So hat Bettina Rudloff von der Stiftung Politik und Wissenschaft in Berlin in einem Aufsatz die Haltung der Gegner von CETA kritisiert und Teile der Grünen zählen zu den Gegnern von CETA. Hier wäre eine Neuorientierung wohl sinnvoll.

Das Gleiche gilt auch für die Aussage, dass landwirtschaftliche Exporte eine der maßgeblichen Fluchtursachen in der Flüchtlingskrise seien. Die wichtigsten Fluchtursachen sind Bürgerkrieg, fehlende Governance-Strukturen und fehlende ökonomische Perspektiven. Dies hat jedoch kaum etwas mit Handel zu tun. Der Zusammenhang zwischen Handel und Flucht ist in meinen Augen bisher nie vernünftig nachgewiesen worden. (Und falls jemand doch eine Studie dazu kennt: Ich lerne gerne dazu!).

Es zeigt sich, dass die Grünen ihre Vorstellung von Handel dringend hinterfragen müssen. Das Jamaika-Bündnis kann allerdings eine gute Gelegenheit sein, sich von überkommenen Vorstellungen zu verabschieden und pragmatische Reformpolitik umzusetzen, die ohne solche Phrasen auskommt.

Unklarheit 2: Die Grünen haben den Strukturwandel nicht verstanden?

In der Pressekonferenz der Generalsekretäre am 2.11.2017 nach einem langen Verhandlungstag, sagte der Bundesgeschäftsführer Michael Kellner: „Wir wollen dieses Prinzip Wachse oder Weiche, also immer größer werden oder kaputt gehen, durchbrechen.“ (Siehe Tagesschau vom 02.11., Min 4:26).

Diese Aussage ist hochgradig fragwürdig, denn wie soll die Politik die Abwanderung von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft aufhalten? Es war m.E. daher auch kaum erstaunlich, dass der CSU-Generalsekretär, Andreas Scheuer auf diese Aussage reagierte und dies als Ziel der neuen Koalition zurückwies. Auch hier kann man sagen: Der Grüne Kellner, der kein Agrarexperte ist, macht es seinen Gegnern und Kritikern sehr einfach.

Es lässt sich sehr einfach zeigen, dass Strukturwandel ein ökonomischer Prozess ist, der unabhängig von politischem Einfluss stattfindet und politisch auch kaum, und nur unter extrem hohen Folgekosten beeinflussbar ist. Die Ursache für Strukturwandel ist (vereinfacht gesprochen) der technische Fortschritt, der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft ersetzt. Technischen Fortschritt kann man unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht verbieten und er findet übrigens im Ökolandbau statt. Und auch Ökobetriebe wachsen. Ist der technische Fortschritt größer als in den sonstigen Sektoren, so wandern Arbeitskräfte aus den primären Sektoren (Landwirtschaft, Bergbau) in die den Industriesektor und den Dienstleistungssektor ab. Dieser Prozess findet international statt und lässt sich auch in hochsubventionierten Agrarsektoren (Norwegen, Schweiz) beobachten. Und auch in der Ukraine, wo es kaum agrarpolitische Eingriffe gibt, findet er statt (selbst wenn die Datengrundlage hier etwas wackelig ist…). Die folgende Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Arbeitskräfte in Deutschland, Italien, Spanien, Norwegen, der Schweiz und der Ukraine.

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Es wird deutlich, dass der Anteil der Arbeitskräfte in den dargestellten Ländern über einen langen Zeitraum rückläufig ist, und zwar unabhängig davon, welche Art der Politik angewendet wird. Es ist ein Irrtum, zu glauben, man könne den Prozess von Wachsen und Weichen durchbrechen. Was man schon tun kann, ist Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen, die Strukturwandel beschleunigen. Der Strukturwandel wird auch unter Jamaika weiter gehen. Aber wenn die Inhalte oben Regierungspolitik werden, dann werden Betriebe, die öffentliche Güter produzieren, in diesem Prozess vielleicht nicht mehr ganz so stark benachteiligt.

Fazit

Es bleibt noch einiges zu tun für die möglichen Bündnispartner, um in den nächsten zwei Wochen ein neues Narrativ zu entwickeln, das die Reformpolitik eines Jamaika-Bündnisses erklärt und mehrheitsfähig umsetzt. Inhaltlich ist die Bilanz aus meiner Sicht gemischt. Manches in dem Papier ist vielversprechend, anderes ist dagegen arm an Ambitionen. Viele Details sind noch klärungsbedürftig, was aber auch dem Zwischenstand geschuldet ist. In den nächsten zwei Wochen werden die Verhandlungsteams noch viel arbeiten müssen. Die Grünen sollten ihre Vorbehalte gegen marktwirschaftliche Prozesse etwas in Frage stellen, und CDU/CSU und FDP noch mehr Mut zu Reformen finden.

Trotzdem deuten die Partner an, dass es auch im Bereich Landwirtschaft zusammen gehen könnte. Ich finde diese Konstellation sehr vielversprechend. Im Moment sehe ich deutlich mehr Chancen als Nachteile aus so einem Bündnis, sowohl für Bürger als auch für Landwirte: Wenn es gut läuft, bekommt die Landwirtschaft moderate Reformen, bei denen auch auf Wirtschaftlichkeit und Maß geachtet wird und die Bürger bekommen mehr gesellschaftliche Leitungen, also mehr Umwelt und mehr Tierwohl.

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4 Antworten to “Jamaika-Koalitionsverhandlungen zum Thema Landwirtschaft: Das Gute, das Schlechte und die Unklarheiten”

  1. zielonygrzyb Says:

    Danke, ein sehr interessanter Beitrag. Einen kleinen Kritikpunkt zum Eingangsstatement hätte ich: es stimmt nicht, dass die „Jamaika-Koalition von CDU/CSU, Grünen und FDP […] als einzige mögliche Option [bleibt], die einigermaßen realisierbar erscheint.“ – vielleicht wäre es an der Zeit, dass sich die deutsche Politik traut, eine Minderheitsregierung zu versuchen. Siehe hier: https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/november/mehr-mut-zur-minderheitsregierung

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    • Sebastian Lakner Says:

      Das wäre als Mitte-Option wirklich interessant. Aber Schwarzgelb könnte sich die Mehrheiten nur auf der linken Seite holen, es sei denn, wir wollen schwarzgelbe Gesetze, durchgewinkt von der AfD? Wir sind da als Deutsche nicht so entspannt, weil ja die Weimarer Republik durch ganze Phasen von Regierungen ohne Mehrheit geprägt war. Teilweise wurde da noch demokratisch regiert, aber ab 1930 ging der Zug dann schon Richtung Diktatur. Insofern setzt das Grundgesetz dem enge Grenzen. Aber das Thema Minderheitsregierungen ist ein schon wichtiger Punkt, der uns in den nächsten Jahren evtl. häufiger beschäftigen wird. Wäre auch in Niedersachsen evtl. eine Überlegung gewesen.

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  2. Uschi Langendorf Says:

    Hallo Sebastian, ich verfolge Deine Aktivitäten ja schon länger und teile den größten Teil davon. Mir ist jedoch ziemlich rätselhaft, wie Du zu der Einschätzung kommst, dass die Linken in den Grünen die Direktzahlungen unbedingt beibehalten wollen und die pragmatischen Grünen sie abschaffen wollen. Mein Eindruck zur Herleitung der Postitionen ist da ein gänzlich anderer.

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    • Sebastian Lakner Says:

      Du hast zunächst in einem völlig Recht: Lt. Programm ist das Ziel der Grünen, die Umschichtung der Mittel in die II.Säule. Wie stark das allerdings umgesetzt wird, d.h. kürzen wir die Direktzahlungen in Deutschland auf null, oder kürzen wir nur die 15%, die im Moment im EU-Rahmen möglich sind, da scheiden sich nach meiner Beobachtung die Geister. Ich habe diesen Punkt nicht richtig belegt, weil es etwas zu weit führen würde. Das ist im Detail auch nicht ganz einfach. Meine Einschätzung beruht auf einer Reihe von grün-internen Diskussionsveranstaltungen und Gesprächen zur Agrarpolitik, wo gerade Vertreter des linken Flügels (wie z.B. Maria Heubuch aus dem EP) sich vehement für eine Einkommenspolitik ausgesprochen haben. Hier wurde argumentiert, dass man Arbeitsplätze im ländlichen Raum erhalten soll. (Was als Ziel vielleicht sogar wünschenswert ist, was man aber nicht mit DZ erreicht.) Für sie war der Knackpunkt der Direktzahlungen immer, dass sie ungleich verteilt sind – was im Kern natürlich nicht falsch ist. Aber mein Argument, dass es für die Direktzahlungen keine sinnvolle Begründung gibt, wurde vor allem von Vertretern des linken Flügels angegriffen. Aber vielleicht vereinfache ich hier zu sehr. Wenn Du mir mit Belegen helfen kannst, will ich das gerne richtig stellen. Und Grundsätzlich ist die Position der Grünen, dass Gelder von der I. in die II.Säule verschoben werden sollen. Insofern danke, dass Du nachfragst!

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