Bauernproteste: EU-Kommission schreddert Umweltstandards in der Landwirtschaft

Beitrag von Sebastian Lakner & Norbert Röder

Landwirt:innen protestieren in ganz Europa, und inzwischen hat die praktische Agrarpolitik auf die Proteste reagiert. Die Reaktion der EU-Kommission besteht darin, die Umweltstandards, die jeder Empfänger von Direktzahlungen (= Subventionen) einhalten muss, deutlich abzusenken und damit ihrer Wirkung zu berauben. Insgesamt beobachten wir spätestens seit Anfang des Jahres 2023 in Brüssel ein massives „umweltpolitisches Rollback“. Die wesentliche Veränderung besteht darin, dass seit diesem Zeitpunkt die Europäische Volkspartei (EVP), Nationalisten Rechtsextreme, sowie einige Liberale gegen jede Art von Umweltpolitik polemisieren. Zunächst blieb die von Frau von der Leyen geführte EU-Kommission auf Distanz, doch spätestens seit Jahresbeginn 2024 rudert die Kommission umweltpolitisch deutlich zurück. Die geplanten Anpassungen könnten umweltpolitisch einen Rückschritt von etwa 10-15 Jahren bedeuten, was für die Umwelt nicht folgenlos bleiben wird. Im folgenden Beitrag gehen wir auf die Gesetzesvorhaben und Anpassungen ein und versuchen, mögliche Folgen zu skizzieren.

Zu sehen ist eine Blühfläche mit zahlreichen farbigen Blüten, vor allem rote Mohnblumen, im Hintergrund hessisches Bergland.
Brache als Blühfläche 2019 bei Germerode, Landkreise Werra-Meißner, Hessen (Copyright: S.Lakner)

Der Aufgalopp 2023: Die EVP bereitet das umweltpolitische Rollback vor

Seit Beginn des Jahres 2023 ist eine deutliche Veränderung der Haltung in der Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP) zu beobachten. Im Zuge der Debatte um den Green Deal und des Nature Restoration Law (= Renaturierungsgesetz) war der Fraktion kein Argument zu schade, um Stimmung gegen das Renaturierungsgesetz zu machen. Auch andere Gesetzesvorhaben wurden im Zuge der Farm-to-Fork-Strategie scharf angegriffen, wie etwa die Sustainable Use Regulation (SUR = Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln) (vgl. dazu Pe’er et al. 2023, preprint). 

Schließlich wurde gegen die Aussetzung der Agrarzölle für die Importe aus der Ukraine in die EU polemisiert, zu beobachten z. B. in der Sitzung des EP-Agrarausschuss am 24.04.2023. Zahlreiche EVP-Abgeordnete aus Osteuropa klagten über niedrige Agrarpreise durch Importe aus der Ukraine. Die Ursachen sind wie so oft komplexer: Der polnische Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk (PiS) hatte im Herbst 2022 den Landwirt:innen empfohlen, Getreide einzulagern, da höhere Preise zu erwarten seien. Die Betriebe folgten der Empfehlung, allerdings fielen anschließend die Preise. Es ist unklar, welchen Mengeneffekt diese regionale Einlagerung hatte, aber der Ärger war große und es kam 2023 zu Demonstrationen. Insgesamt ist seit Herbst 2022 ein Rückgang der globalen Agrarpreise auf ein Niveau zu beobachten, wie es vor Beginn des russischen Überfalls auf Ukraine üblich war. Vergleicht man die Preise von europäischen Handelsplätzen, so bewegen sich diese in einem sehr engen Preiskorridor. Selbst im unwahrscheinlichen Fall eines nennenswerten Preiseffektes der Mengeneinlagerung in Polen wäre dieser aufgrund von Spekulationen der polnischen Betriebe zu Stande gekommen. Im April 2023 trat dann der Minister zurück (Spiegel 05.04.2023), der Ärger ist bis heute geblieben. Dem Argument, ukrainische Importe hätten die osteuropäischen Getreidepreise „verdorben“, fehlt bis heute jede empirische Grundlage. Gleichwohl wurde das Argument von Seiten der EVP stetig wiederholt, Beobachter reiben sich bis heute verwundert die Augen.

Die EU-Kommission reagiert auf Bauerproteste

Der erste Schritt des Zurückruderns kam subtil: Die EU-Kommission reagierte zu Beginn des Jahres zunächst still und leise. Der Framework for sustainable food systems (FSFS) war zwar fertig ausgearbeitet, blieb aber in der Schublade und wurde nicht ins Gesetzgebungsverfahren eingespeist. Des Weiteren zog die EU-Kommission die Novellierung der „Sustainable Use Regulation (SUR)“ zurück, mit der die ambitionierten Reduktionsziele beim Pflanzenschutz angegangen werden sollten. Dieses Gesetzesvorhaben wurde still und leise beerdigt mit dem Verweis, man wolle dies in der nächsten Amtszeit neu angehen. Zumindest die SUR war in der Landwirtschaft auf vehemente Ablehnung gestoßen. Zwar gab es auch von Seiten des der Wissenschaft einige Kritik (z. B. Henning et al. 2021 in einem Gutachten für den Grain Club e. V., aber auch Wesseler 2022), aber es gab auch durchaus Stimmen, die sich für eine ambitionierte Regelung von Pflanzenschutzmitteln ausgesprochen hatten (Candel 2022, siehe auch Candel et al. 2023). Der Kommissionsentwurf zur SUR war an einigen Stellen handwerklich schlecht gemacht, aber hier hätte man sagen können, dass ein verbesserter Vorschlag die Akzeptanz hätte steigern können. Rückblickend war der Rückzug von FSFS und SUR der erste Schritt der Kommission von den eigenen im Green-Deal proklamierten Ansprüchen.

Der zweite, viel problematischere Schritt, die Aufweichung der GLÖZ-Umweltstandards für das aktuelle Jahr und den Rest der Förderperiode sowie der Grünen Architektur der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) deutete sich bereits im Februar an und manifestiert sich seit Mitte März Woche (18.03.2024) durch einen legislativen Entwurf der EU-Kommission. Dieser zweite Schritt ist umweltpolitisch ein massiver Rückschritt hinter den Status quo, der nicht folgenlos bleiben wird. Die Standards des „Guten Landwirtschaftlichen und Ökologischen Zustands“ von Agrarflächen (GLÖZ) sind Kernbestandteil von Cross Compliance bzw. aktuell der erweiterten Konditionalität, also der Bedingungen, die alle Landwirtschaftsbetriebe einhalten müssen, die Direktzahlungen erhalten wollen. Folgende Tabelle gibt einen vereinfachten Überblick über die GLÖZ-Standards, basierend auf der Strategieplan-Verordnung (VO (EU) 2021/2115):

Zu sehen ist eine Auflistung der GLÖZ-Standards.

Die Gesetzesgrundlagen für diesen Schritt sind eine Änderung der Strategieplanverordnung (VO (EU) 2021/2115) insgesamt für die meisten GLÖZ-Standards sowie der delegierten Verordnung (VO 2022/126) von 7.Dezember 2021 für die Details von GLÖZ 1.

Die Details der Änderungen werden im Folgenden beschrieben:

Die bisherige Regelung besagt, dass bei einer Abnahme des Dauergrünlands gegenüber dem Referenzjahr 2018, der jeweilige Mitgliedsstaat dafür sorgen muss, sprich die Betriebe dazu verpflichten, dass entsprechend Flächen in Dauergrünland zurück umgewandelt werden. In ihrer Änderung argumentiert die EU-Kommission jetzt, dass die Abnahme in den Tierbeständen, bzw. der Zahl der auf Tierhaltung spezialisierten Betriebe, bei der Festlegung des maximal zulässigen Rückganges des Dauergrünlandes zu berücksichtigen seien. Allerdings lässt sich der Bezug auf die Tierhaltung nur bei Rindern, Schafen und Pferden sachlich begründen, da diese Grünland nutzen, während bei Schweinen und Geflügel kein Bezug zum Grünland vorhanden ist. Inhaltlich schlägt die Kommission vor, dass entsprechend der Abnahme der Tierbestände Dauergrünland in Ackerland umgewandelt werden kann. Der Rechtstext besagt jetzt in Artikel 1, Abs. 1:

„Ist die in Absatz 1 Unterabsatz 2 Buchstabe a genannte Dauergrünlandfläche aufgrund struktureller Veränderungen in den Bewirtschaftungssystemen eines Mitgliedstaats zurückgegangen, die auf eine erhebliche Verringerung der Viehhaltung zurückzuführen sind, was zu einer erheblichen Verringerung des Futter- und Weidebedarfs in diesem Mitgliedstaat geführt hat, so kann der betreffende Mitgliedstaat einmal im Programmplanungszeitraum 2023–2027 den gemäß Absatz 1 festgesetzten Referenzanteil anpassen, um der verringerten Größe der Dauergrünlandfläche Rechnung zu tragen.“

(Quelle: EU-Kommission: Entwurf für delegierten Rechtsakt)

Das nachfolgende, vereinfachte Beispiel soll den umweltpolitischen Sprengstoff dieser Regelung am Beispiel von Deutschland illustrieren: Lt. Statistischem Bundesamt hat die Anzahl der rinderhaltenden Betriebe von 2018 bis 2023 (jeweils Mai) von 140.679 auf 126.592 abgenommen, eine Abnahme von genau 10%. (Die Anzahl der Tiere ging im gleichen Zeitraum von 8.706.350 auf 7.876.235 GVE zurück, was einer Abnahme von 9,5% entspricht (siehe folgende Abbildung 1). Diese Zahl enthält Milch- und Mutterkühe, Bullen, sowie Jungtiere für die Mast und Nachzucht. Rinder (gewichtet mit ihrer Lebendmasse) machen in Deutschland ungefähr 93% der Nutztiere aus, die Grünland verwerten.

In der Grafik ist der Rückgang der Rinderhaltung von 8.7 Mio. auf 7,88 GVE dargestellt.

Geht man davon aus, dass für den 10%-igen Rückgang in der Viehhaltung ein entsprechender Anteil des Dauergrünlandes in Ackerland umgewandelt werden darf, dann könnten in Deutschland 10% des Dauergrünlands, also ca. 470 tsd. ha Dauergrünland in Ackerland umgewandelt werden. Der Dauergrünlandanteil würde von ca. 28,5% auf 25,5% regelrecht abstürzen (vgl. Abb. 2): 

Das ist natürlich „Agrarökonomie nach dem Rechenschieber“. So haben wir etwa davon abstrahiert, dass in Deutschland die Umwandlung von Dauergrünland in andere landwirtschaftliche Nutzungen unter die Eingriffsregelung des Naturschutzrechts fällt und somit auch aus ordnungsrechtlichen Gründen nicht immer möglich ist. Ein Umbruch von Grünland hängt ferner von der ökonomischen Vorzüglichkeit und weiteren ordnungsrechtlichen Regeln ab und ist kein Automatismus. Hinsichtlich der ökonomischen Vorzüglichkeit ist anzumerken, dass sie einerseits in einer Phase fallender Agrarpreise nicht unbedingt überall gegeben. Andererseits könnte Landwirtinnen und Landwirte die de-facto Aussetzung von GLÖZ 1 als „einmalige Chance“ begreifen und auf Vorrat umwandeln, um ihre zukünftigen Nutzungsoptionen zu erweitern.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen welche Auswirkung eine solche Regelung auf europäischer Ebene haben könnte, bleiben wir für den Moment beim Beispiel Deutschland und gehen davon aus, dass es die ordnungsrechtlichen Regelungen nicht gäbe. 

Für die Klimabilanz des Agrarsektors wäre dies desaströs: Geht man von einer Freisetzung von 6 t CO2-Äquivalenten pro Jahr durch eine Umwandlung von Dauergrünland aus, so ergibt sich daraus eine gesamte Freisetzung von 2,8 Mio. t CO2-Äquivalente. Die aktuellen TGH-Emissionen des Sektors Landwirtschaft (ohne die Emissionen aus der Bewirtschaftung von organischen Böden) betragen 61 Mio. t CO2-Äquivalente (Daten für 2021 lt. Umweltbundesamt). D. h. der THG-Ausstoß der Landwirtschaft würde um 4,6% ansteigen, was den Sektor in Hinblick auf die Einsparziele um etwa 5 Jahre zurückwerfen würde. Die durch die Düngeverordnung induzierten Einsparungen der günstigen, weil trockenen Jahre 2018-2020 wären damit in den Wind geschrieben.

In der EU fällt der Rückgang der Weidetierhaltung mit knapp 5,8 % zwischen 2017 und 2022 etwas geringer als in Deutschland aus, liegt aber immer noch in einer Größenordnung, die deutlich größer ist, als die bisher jemals beobachteten Veränderungen der Dauergrünlandfläche in einem Fünfjahresintervall. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (v. a. in Mittel- und Nordosteuropa) wurden die schärferen Grenzwerte der jetzigen und der beiden vorangegangen Förderperiode nie erreicht. Es stellt sich somit die Frage welchen ökologischen Mehrwert eine Regelung hat, bei der sich das Ambitionsniveau dynamisch an sinkende Bestände an Raufutterfressern anpasst.

Berücksichtigt man ferner wie unklar der Rechtstext an zentralen Stellen formuliert ist muss man feststellen, dass diese delegierte Verordnung handwerklich schlecht gemacht ist. Offene Fragen sind beispielsweise:

  • um welche Arten der Tierhaltung geht es?
  • was ist eine „erhebliche Verringerung“?
  • welche Raten der Grünlandumwandlung sind in Abhängigkeit von der beobachteten Veränderung der Viehbestände zulässig?

Delegierte Verordnungen sollen eigentliche technische Aspekte einer europäischen Basisrechtstextes (Verordnung oder Richtlinie) klären.

GLÖZ 8 Mindestanteil für nichtproduktive Flächen oder Landschaftselemente

Wie im Vorjahr wird in 2024 der GLÖZ 8 Standard mit dem Ziel der „Erhaltung nichtproduktiver Landschaftselemente und Flächen zur Verbesserung der Biodiversität innerhalb landwirtschaftlicher Betriebe“ de-facto ausgesetzt (EU 2024/587). Die Kommission ermöglichte es den Mitgliedsstaaten, den Betrieben die Möglichkeit zu eröffnen, ihre GLÖZ 8 Verpflichtung dadurch zu erfüllen, dass sie lediglich auf 4 % ihre Ackerfläche Zwischenfrüchte anbauen. Während für 2023 die Aussetzung mit den gestiegenen Agrarpreisen begründet wurde (vgl. Lakner 2023), ist 2024 die Begründung, dass die Preise (wieder auf Normalniveau) gefallen sind. Diese Regelung beschloss die Kommission ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten oder des Parlamentes und ging in ihrer Definition über den durch die Strategieplan-Verordnung gesetzten Rahmen hinaus. Wenig verwunderlich machten die Mitgliedsstaaten unter anderem mit dem Argument ‚Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden‘ von der Option weidlich Gebrauch. Der von der Wissenschaft oft befürchtete „Race to the bottom“ bei Umweltstandards kann gerade live beobachtet werden.

Anscheinend war es der Kommission zu mühsam sich jedes Jahr ad-hoc eine neue Begründung zu erfinden, warum dieser Standards mal wieder ausgesetzt werden muss. Folglich wird GLÖZ 8 jetzt grundsätzlich geschliffen. Die bisherige GLÖZ 8-Regelung sieht mit dem Ziel der Verbesserung der Biodiversität folgendes vor (wörtlich aus VO (EU) 2021/2115):

  • „Mindestanteil der landwirtschaftlichen Fläche für nichtproduktive Flächen oder Landschaftselemente1 
  • Ein Mindestanteil von 4 % des Ackerlandes auf Ebene des landwirtschaftlichen Betriebs ist für nichtproduktive Flächen und Landschaftselemente, einschließlich brachliegender Flächen, vorgesehen.
  • Wenn Landwirte sich im Rahmen erweiterter Öko-Regelungen gemäß Artikel 31 Absatz 6 dazu verpflichten, mindestens 7 % ihres Ackerlandes für nichtproduktive Flächen oder Landschaftselemente, einschließlich brachliegender Flächen, vorzusehen, beschränkt sich der Anteil zur Erfüllung dieses GLÖZ-Standards auf 3 %. 
  • Wenn ohne Einsatz von Pflanzenschutzmitteln angebaute Zwischenfrüchte oder stickstoffbindende Pflanzen inbegriffen sind, gilt ein Mindestanteil von 7 % des Ackerlands auf Ebene des landwirtschaftlichen Betriebs, wobei es sich bei 3 % um brachliegende Flächen oder nichtproduktive Landschaftselemente handeln muss. Für Zwischenfrüchte sollten die Mitgliedstaaten den Gewichtungsfaktor 0,3 verwenden.
  • Keine Beseitigung von Landschaftselementen 
  • Verbot des Schnitts von Hecken und Bäumen während der Brut- und Nistzeit von Vögeln
  • Option: Maßnahmen zur Bekämpfung invasiver Pflanzenarten“
Quelle: wörtlich aus EU-Kommission (2021): VO (EU) 2021/2115 Strategieplan-Verordnung

Die Umsetzung erlaubt, dass man Betriebe entweder für 4% Brache verpflichtet, oder zu einem höheren Anteil mit Brache, Leguminosen und Zwischenfrüchten (= Greening), wobei dann der Brachen-Anteil geringer ist. Die Fußnote 1 oben besagt, dass Mitgliedsstaaten Betriebe von dieser Verpflichtung ausnehmen können, die einen Flächenanteil von mehr als 75% der Betriebsfläche mit Futterfläche oder Dauergrünland bewirtschaften sowie Betriebe, die weniger als 10 ha Ackerfläche bewirtschaften.

Die neue Regel für den Rest der Förderperiode ist im Vergleich zum bisherigen Standard ein Kahlschlag. Es bleiben nur die folgenden drei Regeln übrig: 

  • „- Keine Beseitigung von Landschaftselementen 
  • Verbot des Schnitts von Hecken und Bäumen während der Brut- und Nistzeit von Vögeln
  • Option: Maßnahmen zur Bekämpfung invasiver Pflanzenarten“
Quelle: EU-Kommission (2024): Entwurf zur Änderung VO (EU) 2021/2115

Die Ackerbrachen werden als GLÖZ-Standard ersatzlos gestrichen. Die Kommission schreibt im Erwägungsgrund 9: 

„Dementsprechend sollte Artikel 31 der Verordnung (EU) 2021/2115 geändert werden, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten Öko-Regelungen unterstützen, die Verfahren zur Erhaltung nichtproduktiver Flächen, wie brachliegender Flächen, und zur Schaffung neuer Landschaftselemente auf Ackerland einschließen.“

Quelle: wörtlich aus EU-Kommission (2024): Entwurf zur Änderung VO (EU) 2021/2115, Ziffer (9)

Diese Bestimmung ist zwar für die Mitgliedsstaaten bindend. Es ist allerdings kein Mindestbudget für diese Regelungen vorgesehen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob ein Mitgliedsstaat wie z. B. Deutschland, das bereits eine Öko-Regelung zur Förderung von Brachen anbietet, überhaupt etwas verändern müsste. Soweit wir es verstehen: Nein. 

Warum ist das Schleifen der GLÖZ 8-Regelung ein ernstes Problem? 

Auch wenn regelmäßig Leser:innen sich gut vorstellen können, was jetzt kommt, erscheint es uns notwendig, hier einige Argumente für die Brachen zu wiederholen. Vieles davon ist in den letzten Jahren in der wissenschaftlichen Literatur, in Anhörungen, Gutachten, Stellungnahmen oder Blogbeiträgen immer wieder thematisiert worden.

Die Kernaussage aus wissenschaftlicher Sicht lautet: Die Brachen sind essentiell für den Erhalt der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft und daher dringend notwendig. Dazu gibt es innerhalb der Wissenschaft kaum eine abweichende Meinung. Es gibt dagegen zahlreiche Studien, die diesen Zusammenhang belegt haben (vgl. Leopoldina 2020).

Die Brachen waren in den 1990er und 2000er Jahren integraler Bestandteil der GAP mit einem stabilen Anteil von 5-6% der Agrarlandschaft. Diese Maßnahme wurde Ende der 1980er Jahre ergriffen, um die Märkte zu entlasten und die damals notorische Überproduktion zu begrenzen, daher wurde damals von „Stilllegung“ gesprochen. Das Ziel der nicht-produktiven Flächen ist heute (wie dargestellt) ein anderes; es geht um die Förderung der Artenvielfalt. Insofern spricht aus der permanenten Nutzung des Begriffs „Stilllegung“ für die nicht-produktiven Biodiversitätsflächen schon eine gewisse Ignoranz. Im Zuge der Ernährungskrise 2006/7 mit hohen Weltmarktpreisen, sowie aufgrund der rückläufigen EU-Agrarexportüberschüsse wurde die „Stilllegung“ 2007/08 ausgesetzt und im Zuge des Health Checks 2009 durch die EU vollständig abgeschafft. Die ökologischen Schäden des Endes der Stilllegung 2008 für die Biodiversität sind gut dokumentiert. Traba & Morales (2019) zeigen für Spanien einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Brache und dem Vorkommen bestimmter Vogelarten. Herzog et al. (2023) untersuchen 24 Feldvogelarten und zeigen, dass es bei 15 der untersuchten Arten (63%) einen engen Zusammenhang zwischen dem Flächenanteil der Brachen und dem Vorkommen und der Vielfalt der untersuchten Arten gibt. Die Autor:innen empfehlen die Förderung der Brachen in allen Agrarlandschaften und Umsetzung von entsprechenden ehrgeizigen Zielen in den GAP-Strategieplänen (Herzog et al. 2023).

Die Literatur der letzten 30 Jahren bestätigt insgesamt, dass die Brachen eine wichtige Funktion für die Arten der Agrarlandschaft spielen können. (vgl. Firbank et al. 2003). Die Vorteile für Bodenbrüter (wie Feldlerche, Rebhuhn, Wachtelkönig und Kiebitz) werden durch die Literatur eindeutig gestützt (vgl. Henderson et al. 2000). Auch für Ackerwildkräuter bieten Brachen Lebensraum, auch wenn bekannt ist, dass für den Schutz seltener Arten andere, ergänzende Maßnahmen notwendig sind. Brachen erhöhen die Strukturvielfalt in der Agrarlandschaft, was Insekten fördert. Insektenvielfalt hat einen regulierenden Effekt auf benachbarte Produktionsflächen. Durch vielfältige Insekten kann der Einfall von Schadinsekten (z.B. Blattläuse) gemildert werden. Des Weiteren sind positive Effekte bei der Bestäubung der Nutzpflanzen zu erwarten (vgl. Karp et al. 2018).

Brachen bieten durch ihre strukturelle Vielfalt für größere Wildtiere einen wichtigen Rückzugsraum, weshalb Jagdverbände häufig ein Interesse an Brachen und Blühstreifen haben. Brachen und Landschaftselemente begünstigen ein ausgeglichenes Mikroklima und verhindern Winderosion, wie etwa im gemeinsamen Bericht von IPCC und IPBES dargestellt (Pörtner et al. 2020). Verschiedene Forschungsarbeiten zeigen, dass Brachen vor allem in ausgeräumten Landschaften einen hohen zusätzlichen Nutzen stiften (Tscharntke et al. 2010). Im Kontext des Greenings und der Ökologischen Vorrangfläche (ÖVF) wurden die Brachen, Blühstreifen und Landschaftselemente als für die Biodiversität effektiv bewertet (Pe’er et al. 2017). Die anderen Optionen für die ÖVF wurden als weitgehend wirkungslos für die Biodiversität eingestuft (ebd.). 

Es ist offensichtlich, dass die Option Brache unabhängig von ihrer Ausgestaltung nicht überall und jederzeit die beste Flächennutzungsoption für die Biodiversität ist. Es gibt schon innerhalb der verschiedenen Brachen- und Blühstreifen Optionen, die wirksamer sind als andere. Auch die Lage einer Brache in der Agrarlandschaft kann einen großen Unterschied ausmachen. Insofern kann man diese Debatten führen. Dies stellt aber die prinzipielle positive Wirkung der Brachen nicht in Frage.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der jetzige Reformvorschlag der Kommission bedeutet, dass in Hinblick auf die Bereitstellung von Brachen das Anforderungsniveau für die landwirtschaftlichen Betriebe auf ein Niveau zurückgeht, wie es mit Ausnahme des Zeitraumes von 2008 bis 2014 das letzte Mal zu Beginn der 90er Jahre herrschte.

Keine Kontrollen bei Kleinstbetrieben

Auf die weiteren Änderungen zur Bodenbedeckung (GLÖZ 6) und Fruchtfolge (GLÖZ 7) gehen wir nicht ein. Diese sind zwar vor dem Hintergrund des Zieles einer nachhaltigen Landwirtschaft nicht förderliche, eine weitere Änderung könnte aber weitaus problematischere Folgen haben. Die EU-Kommission schlägt vor, dass alle Kleinstbetriebe (< 10 ha) de facto von allen Anforderungen der Konditionalität ausgenommen werden. Die Kommission schreibt dazu: 

“Bei Landwirten, deren Betrieb maximal 10 Hektar landwirtschaftliche Fläche umfasst, sollten daher im Rahmen des Konditionalitätssystems keine Kontrollen der Einhaltung der Grundanforderungen an die Betriebsführung nach dem Unionsrecht und des guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustands vorgenommen werden. Da diese Kleinerzeuger 65 % der GAP-Begünstigten ausmachen, auf sie aber nur etwa 10 % der gesamten landwirtschaftlichen Fläche entfallen, …”

Quelle: wörtlich aus EU-Kommission (2024): Entwurf zur Änderung VO (EU) 2021/2115

Laut Eurostat würden 16,9 Mio. ha EU-weit aus den Kontrollen herausfallen, was der Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands entspricht. Angesichts der unterschiedlichen Größenverteilungen in den Mitgliedsstaaten ist der Anteil der Fläche unterschiedlich: Während in Deutschland nur 2,2% der Fläche nicht kontrolliert würde, wären es in Rumänien 31% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Die Lebenserfahrung zeigt, dass Vorschriften die nicht kontrolliert werden auch nicht umgesetzt werden (bzw. wenn sie flächendeckend umgesetzt werden, dann braucht man die Vorschrift nicht).

Besonders bedenklich ist die de-facto Aussetzung bei Aspekten die bei einer Zerstörung nur schwer reversibel sind. Hierzu gehören in Hinblick auf die Treibhausgasbilanz der Erhalt von Dauergrünland (GLÖZ 1), und in Hinblick auf die Biodiversität der Erhalt von Landschaftselementen (GLÖZ 8) und des umweltsensiblen Grünlandes (GLÖZ 9). Daneben besteht die Gefahr von sogenannten Drehtür-Effekten, dass z. B. kleinere Betriebe rotierend sensibles Dauergrünland anpachten, dieses umbrechen und mit produktiven Mischungen neu ansäen und danach an den vorigen Bewirtschafter zurückübergeben.

Bewertung der Maßnahmen:

Insgesamt hat die EU-Kommission in sehr kurzer Zeit eine umweltpolitische Kehrtwende vollzogen. Die aktuellen Änderungen in der GAP könnten schlimmsten Fall einen Rückschritt bis ins Jahr 1990 bedeuten. Zu dieser Zeit waren noch keine ökologischen Vorrang- bzw. Stilllegungsflächen vorgesehen und die Dauergrünlandumwandlung wurde in der GAP formal erst ab 2007 reguliert. Auch zeigte der deutliche Rückgang der Dauergrünlandfläche in Deutschland zwischen 2007 und 2015, dass die bestehenden Bundes- und Landesgesetze, die die Grünlandumwandlung einschränken ohne eine entsprechende Flankierung durch den GLÖZ 1 nicht ausreichten, den Grünlandverlust zu stoppen (Lakner & Holst 2015).

  1. Die schnelle Vorgehensweise könnte die bisherige Rechtspraxis verändern

Der legislative Prozess dieser Änderungen erfolgte sehr schnell, es wurde von der Kommission keine Folgenabschätzung vorgelegt. Gleichzeitig übte die Kommission auf den Rat und das Parlament erheblichen Druck aus und war zu keinen Kompromissen bereit. Diese Vorgehensweise wirft Fragen hinsichtlich des Prozesses auf. Wenn die EU-Kommission in einem sehr kurzen Verfahren binnen 2 Monaten derartig grundlegende Änderungen vornimmt, stellt dies den Reformprozess der letzten GAP-Reform in Frage. An dieser Reform wurde von Juni 2018 bis Juni 2021 mit intensiver Mitwirkung des Parlamentes und Rates gearbeitet. Das Schleifen wichtiger umweltpolitischer Errungenschaften der Reform vorrangig durch Instrumente wie Durchführungs- und delegierte Rechtsakte dauerte dagegen 2 Monate. Rat und Parlament haben in diesem Prozess nur beschränkte Rechte. Auch bei den Änderungen der Basisrechtsakte wird von Seiten der Kommission auf ein verkürztes Verfahren mit stark eingeschränkten Rechten für Rat und Parlament gesetzt. Bei der nächsten Reform werden sich die Protagonisten fragen, warum man an einer weiteren Reform mitarbeiten sollte. Auch juristisch und demokratietheoretisch wirft diese „Wildwest-Vorgehensweise“ der Kommission Fragen auf, die mit Sicherheit Juristen beschäftigen werden.

2. Die umweltpolitische Glaubwürdigkeit der Kommission steht in Frage

Die Glaubwürdigkeit der Kommission steht mit diesen Änderungen in Frage: Zweimal initiierte die Kommission eine GAP-Reform mit dem Versprechen, ab jetzt werde alles „grüner und fairer“. Und jedes Mal stellte sich nach etwa zwei Jahren heraus, dass die Reform weniger grün ausfiel als gedacht. Durch die vorgeschlagenen Änderungen der Kommission geht die GAP umweltpolitisch rückwärts. Der Lack der grün-und-fair-Behauptungen ist allmählich ab.

3. Den Schaden für dieses ökologische Rollback trägt die Gesellschaft

Der Schaden, den diese Rückschritte für die Umwelt bedeuten, entsteht der Gesellschaft, da eine intakte Umwelt im Interesse aller Bürger ist. Landwirtschaft bewirtschaftet den größten Teil der europäischen Landfläche, insofern ist der Rückgang der Artenvielfalt und die Verschlechterung der Klimabilanz des Agrarsektors ein gesellschaftliches Problem.

4. Der GAP fehlt eine tragfähige Begründung für die Ausgabe von Steuergeldern

Es stellt sich weiterhin die Frage, mit welcher Begründung 360 Mrd. EUR für eine Förderperiode ausgegeben werden. Für die Einkommensziele gibt es bis heute keine überzeugende Begründung, die einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten, und die einkommenspolitischen Instrumente der GAP erreichen die von der Kommission proklamierten Ziele häufig nicht. Marktstabilität und Produktivität erfordern keine spezifischen Fördermaßnahmen bzw. komplett andere als flächengebundene entkoppelte Direktzahlungen. Die neue Begründung der GAP, die in der Förderung öffentlicher Güter und gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft lag, wird mit diesen Änderungen in Frage gestellt. Bürger:innen und Steuerzahler:innen dürften sich fragen, welcher Mehrwert eine Politik hat, deren gesellschaftliche Nutzen mit solchen Änderungen innerhalb von 2 Monaten im Schnellverfahren wegrationalisiert wird. Das vorhandene Akzeptanzproblem der GAP wird sich mit dieser Änderung eher verschärfen. Umgekehrt ist mit diesen Änderungen eine belastbare Begründung für die GAP-Zahlungen abhandengekommen. 

5. Für die Betriebe sind die Änderungen nicht unbedingt eine Verbesserung

Auch für die landwirtschaftlichen Betriebe ist diese Änderung keineswegs keine gute Botschaft, aus mehreren Gründen:

a. Mit den radikalen Protestformen der Brüsseler Demos hat sich inzwischen ein Bild des Sektors verfestigt, das für den Berufsstand nicht hilfreich ist, denn die meisten Demonstranten sind friedlich und wollen auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Was hängen bleibt ist ein anderes BILD: Der Berufsstand verweigert sich allen Reformen und ein paar brennende Reifen in Brüssel reichen aus, um die Kommission gefügig zu machen.

b. Die Änderungen sind keineswegs hilfreich für den gesamten Berufsstand. Es gibt zahlreiche Landwirt:innen, die sich um Umweltbelange kümmern und Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen auf ihren Betrieben bereits umsetzen. Für sie sind diese Änderungen eine systematische Benachteiligung. 

c. Die Vorschläge der Kommission sind aus Sicht des Bürokratieabbaus wenig relevant, da doppelte Kontrollvorgaben und die Bürokratie rund um die Tierhaltung wesentlich wichtiger sind (vgl. Blog vom 25.März 2024). Auch die anderen Meldepflichten entfallen durch die Aufweichung der GLÖZ-Kriterien nicht. Insofern verspricht die Änderung in Hinblick auf Bürokratieabbau mehr als sie hält.

d. Klingt vielleicht absurd, aber mittelfristig verringern die Änderung die Planungssicherheit, da unklar ist, ob dieser Rückbau überhaupt bestehen bleibt. Die Umweltprobleme werden durch diese Änderungen nicht verschwinden, im Gegenteil: Der Rückgang der Artenvielfalt, der fortschreitende Klimawandel und regionale Nährstoffüberschüsse werden weiterhin ein Thema in den Medien bleiben; Der umweltpolitische Handlungsbedarf ist weiterhin groß. Dies ist aus wissenschaftlicher Sicht Konsens, es geht nur um das wie. Es ist durchaus denkbar, dass in drei Jahren genau die gleichen oder sogar ambitioniertere Regeln zurückkommen oder die GAP-Gelder in größeren Maß als bisher gestrichen werden. Für die Betriebe bedeutet das Unsicherheit: ein Problem, das auf den Demos oft angesprochen wurde. Mit dem Hin- und Her erhöht die Kommission diese Unsicherheit, statt langfristig belastbare Regeln zu schaffen.

Fazit

Die Kommission hat mit diesen Änderungen ihren umweltpolitischen Anspruch aufgegeben. Sie stellt ihre eigene Position politisch in Frage. Sie verschärft die Umweltprobleme in der Landwirtschaft und erhöht die Unsicherheit für die Betriebe, deren Probleme durch diese Aufweichung der GLÖZ-Vorgaben nicht gelöst werden. Gerade die massive Beschneidung der Rechte der Ko-Gesetzgeber könnte ein grandioses Eigentor der Kommission sein, für das sie evtl. zu einem späteren Zeitpunkt teuer bezahlen muss.

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Eine Antwort to “Bauernproteste: EU-Kommission schreddert Umweltstandards in der Landwirtschaft”

  1. Politiek & beleid: updates over rechtvaardig handels- en landbouwbeleid (april 2024) – Voedsel Anders Nederland Says:

    […] minder dan 10 hectare uit te sluiten van controles en sancties voor deze fundamentele milieunormen. Experts zeggen dat dit 16,9 miljoen hectare land in de hele EU zou uitsluiten, het equivalent van meer dan 70% van […]

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