Kommentar zu den GAP-Beschlüssen: Kein Systemwechsel erkennbar

Gestern Abend (20.10.2020) haben sowohl der Ministerrat als auch das Europäische Parlament ihre Position zur Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) nach 2020 festgelegt. Im folgenden Beitrag werde ich einige der beschlossenen Details herausgreifen und begründen, warum ich in den Beschlüssen keinen Fortschritt sehe, sondern eher einen Rückschritt. Es fehlt auf europäischer Ebene eine Vision der Landwirtschaft 2030. Die Agrarminister im Rat sind sich offensichtlich nicht einig über die Ziele und Prioritäten in der GAP, weshalb bei den Beschlüssen nur der kleinste gemeinsame Nenner und de fact ein „Business as Usual“ herauskommt. Aufgrund fehlender neuer Ziele fallen die Agrarminister man immer wieder in die alten Narrative „mehr Produktion“ und „Einkommenssicherung“ zurück, statt sich den dringenden Herausforderungen im Umweltbereich wie z.B. der zurückgehenden Biodiversität, dem fortschreitenden Klimawandel und den unregulierten Stoffflüssen zu stellen. Ähnliches gilt auch für die EU-Parlamentarier der großen Koalition von EVP, SD und Renew Europe. Aber hier gab es zumindest Widerspruch der Opposition, die eine Alternative formuliert. Es stellt sich insgesamt die Frage, ob die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) in dieser Form überhaupt noch Sinn ergibt.

Kommentar zu den GAP-Beschlüssen: Kein Systemwechsel erkennbar

Die meines Erachtens wichtigsten Kernpunkte der Beschlüsse sind in vier Bereichen zu sehen, die die Leitlinien für die Umsetzung der Agrarpolitik in den Mitgliedsstaaten in den nächsten Jahren darstellen:

1. Finanzielles Volumen der Umweltausgaben in der GAP

In der Wahrnehmung der Debatte spielen finanzielle Beschlüsse häufig eine wichtige Rolle, weil Sie am Ende Gestaltungsmöglichkeiten für die Mitgliedsstaaten ermöglichen und aus Ihnen inhaltliche Prioritäten der Agrarpolitik ableitbar sind.

Eco-Schemes: Wichtiger Diskussionspunkt war die Frage, wie die sogenannten Eco-Schemes (übersetzt Öko-Regelungen) finanziell ausgestattet sind. Hierbei lohnt zunächst der Blick auf das Instrument selbst, das die Mitgliedsstaaten verpflichtend anbieten müssen, während Landwirt*innen freiwillig daran teilnehmen können. Inhaltlich sollten lt. Entwurf der Kommission „Umweltziele“ verfolgt werden. Allerdings hat das Parlament eine wichtige Ergänzung in Artikel 28b hinein verhandelt, die die Zielrichtung der Eco-Schemes aufweicht:

Article 28b Practices eligible for schemes for the climate, environment and animal welfare

1. The agricultural practices covered by this type of intervention shall contribute to the achievement of one or more of the specific objectives set out in points (d), (e), (f) and (i) of Article 6(1), while maintaining and enhancing the economic performance of farmers in accordance with the specific objectives set out in points (a) and (b) of Article 6(1).

Beschlüsse EU-Parlament 20.10.2020, eigene Markierung.

Eco-Schemes sollen auch mit Einkommens- und Wettbewerbszielen (Ziel a und b in Artikel 6) kompatibel sein. Des Weiteren sollen die Eco-Schemes auch dem Tierwohl zu Gute kommen. Tierwohl ist wichtig und stellt eine große Herausforderung dar, allerdings ist dies eine weitere Zielstellung, die bei weniger Mittel gefördert werden soll. Insofern wurde der Zweck der Eco-Schemes deutlich erweitert und in der Zielstellung bis zur Beliebigkeit aufgeweicht.

Die Parlamentsmehrheit hat sich für einen Anteil an den Direktzahlungen von 30% ausgesprochen, während der Rat sich für 20% Eco-Schemes ausspricht. Der Rat hat darüber hinaus in den ersten Jahren 2023 und 2024 eine Testphase zu erlauben, in der nicht genutzte Mittel der Eco-Schemes weiter als Direktzahlungen ausgezahlt werden können. Wenn man z.B. unterstellt, dass in den ersten zwei Testjahren nur 10% als Eco-Schemes verwendet werden, so könnte ein möglicher Agrarhaushalt in Deutschland so aussehen:

Es ist zunächst zu beachten, dass die Basisprämie hier noch die Junglandwirteprämie und die ersten Hektare enthält, die Umschichtung (hellblau) ist mit 6% angenommen. Es zeigt sich, dass die Eco-Schemes in den Jahren, in denen sie angewendet werden, lediglich im Durchschnitt 16% der ersten Säule erreichen. Die zwei Übergangsjahre 2021 und 2022 erreichen mit 30% Greening sehr viel höhere umweltrelevante Zahlungen. Des Weiteren sah die bisherige Greeningregel vor, dass man bei Kontrollen auch weitere 7,5% der Direktzahlungen kürzen durfte, insofern waren de facto, d.h. aus Sicht eines ökonomisch rationalen Entscheidungsverhaltens der Landwirte 37,5% der 1.Säule an Umweltkriterien gebunden. Die 20% des Rates und die 30% des Parlamentes sind insofern eher ein Rückschritt.

Diese Betrachtung ist natürlich vorbehaltlich einer inhaltlichen Ausgestaltung. Sollten die Eco-Schemes nur für effektive Maßnahmen vorgesehen werden, so könnte auch damit kleiner Fortschritt erreicht werden, allerdings stellt sich die Frage, ob man mit einer effektiven Ausgestaltung rechnen kann. Die Beschlüsse verpflichten die Mitgliedsstaaten nicht zu einer solchen Ausgestaltung. Des Weiteren können die Eco-Schemes (ähnlich wie Greening) substanzielle Einkommenskomponenten enthalten, insofern erwarte ich mit diesem Verhandlungsergebnis weder eine höhere Effektivität noch eine höhere Effizienz der Umweltmaßnahmen der 1.Säule.

Die finanziellen Spielräume für die weitaus effektiveren Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM) dürften sich ebenfalls kaum ändern. Es ist weder vorgesehen, deutlich mehr Geld in der II.Säule zur Verfügung zu stellen, noch ergeben sich neue Spielräume innerhalb der existierenden Maßnahmen. Eine wichtige Bedeutung kommt hierbei der Zahlungen für Area of Nature Constraints (ANC) (auf deutsch: Zahlungen für benachteiligte Gebiete) zu. Entgegen der populär verbreiteten Ansicht, es würde sich bei ANC um Umweltzahlungen handeln, haben die ANC kaum Umwelteffekte. In manchen Regionen der EU gehen sie mit Umweltvorteilen einher, was aber ein zufälliger Effekt ist, da die ANC keine Umweltanforderungen an die Betriebe stellen und eigentlich eine Direktzahlungen für bestimmte Regionen sind.

Es war zunächst im Entwurf für die Reform vorgesehen, dass die ANC-Zahlungen in die I. Säule verschoben werden sollten. Dies ist vom Rat verworfen worden, weshalb die Spielräume in der II.Säule nicht größer werden. Auch hier ist das finanzielle Ringfencing so angelegt, dass die Spielräume für die effektiven Agrarumweltmaßnahmen nicht größer werden, weil auch andere Maßnahmen inzwischen mit Mindestanteilen versehen wurden. Es kann zwar auch hier sein, dass die Mitgliedsstaaten hier Prioritäten verschieben, aber der Spielraum ist sehr eng und am Ende ist das freiwillig und bleibt vom Goodwill der EU-Regierungen abhängig.

2. Ausgestaltung der Eco-Schemes

Die Ausgestaltung der Eco-Schemes war zunächst recht flexibel angelegt. Es hätte eine flächenspezifische Zahlung für die Flächen sein können, auf denen tatsächlich eine Umweltleistung erbracht wird. Die Zahlungen konnten sich an Kosten orientieren, oder aber als pauschale Summe mit einer sog. Einkommenskomponente (d.h. deutlich über die Kosten einer Maßnahme hinaus) gezahlt werden.

Das Parlament engt diesen Spielraum deutlich ein, in dem das Modell einer Zahlung mit Einkommenskomponente vorgeschrieben wird, die für den pro Hektar oder für den gesamten Betrieb zu zahlen ist. Die Kostenorientierung wurde offensichtlich gestrichen. Die Zahlung selbst darf jedoch nach Ambitionsniveau variieren:

Artikel 28 (3)

Support for eco-schemes shall take the form of an annual payment per eligible hectare and/or a per holding payment, and it shall be granted as incentive payments going beyond compensation of additional costs incurred and income foregone, which may consist of a lump sum. The level of payments shall vary according to the ambition level of each eco schemes, based on non-discriminatory criteria.

Diese Ausgestaltung muss nicht per se zu einem Rückschritt führen, sie unterscheidet sich allerdings kaum von Greening. So kann man zeigen, dass für die ökologische Vorrangfläche etwa 800 €/ha gezahlt werden, was bei Maßnahmen wie Blühstreifen vielleicht als Kosten im Extremfall erreicht wird, bei vielen anderen Maßnahmen und bei vielen Betriebstypen eigentlich kaum den Kosten der Vorrangflächen entspricht. Insofern gab es bisher Einkommenskomponenten, die es auch weiterhin geben wird, nur heißt es jetzt „Öko-Regeln“ und ist freiwillig, während es bisher Greening hieß und abgesehen von Ausnahmen für Kleinerzeuger und Futterbaubetriebe für fast alle Betriebe EU-weit verpflichtend war.

Es deuten sich kleine Lichtblicke an, die allerdings von den Mitgliedsstaaten auch umgesetzt werden müssen, nämlich die Möglichkeit kollektive Maßnahmen oder Punktesysteme umzusetzen.

Ein Änderungsantrag des EP sieht vor, dass man Punktesysteme etablieren sollen.

To facilitate coherence and effective rewarding Member States shall establish point or rating systems.

Des weiteren wurden als Nutznießer der Eco-Schemes Landwirte und „Gruppen von Landwirten“ vorgesehen. Aus solchen Regeln wird noch keine Umweltambition und es ergibt sich daraus nicht zwingen eine Verbesserung, aber zumindest haben die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, individuell bessere Lösungen zu entwickeln, als sie in dieser Beschlusslage vorgesehen sind.

3. Ausgestaltung der Konditionalität

Die Konditionalität enthält die Grundanforderung, die jeder und jede Landwirt*in einzuhalten hat, um Direktzahlungen zu erhalten. Diese Grundanforderungen heißen Good Agricultural and Ecological Conditions (GAEC) oder „Guter Landwirtschaftlicher und Ökologischer Zustand (GLÖZ)“. Im Anhang des Kommissionsentwurfes gab es einige Grundanforderungen, die durchaus eine Verbesserung gerade für Biodiversität und Klimaschutz bedeutet hätten.

3.1 Nicht produktive Flächen (GAEC 9):

Entwurf der EU-Kommission, Juni 2018 Annex III

Hier war vorgesehen, dass x% der landwirtschaftlichen Fläche für nicht-produktive Elemente (z.B. Brachen oder Blühstreifen) oder Landschaftselemente vorgesehen waren. Das Ziel war lt. Entwurf der „Erhalt von nicht produktiven Flächen und Flächen zur Verbesserung der Biodiversität“.

Durch Parlament und Rat wurde zunächst die Bezugsgröße auf Ackerfläche verkleinert, was 40% der Fläche (Grünland, Dauerkulturen, Gartenbau) außen vor lässt. Des Weiteren wurden weitere Optionen hinein verhandelt, wie Zwischenfrüchte und Leguminosen.

Das Parlament hielt sich zwar vordergründig an die Formulierung, setzte jedoch eine Fußnote, dass Flexibilitäten von Artikel 46 der EU-Verordnung 1307/2013 zu nutzen sei – der Artikel der letzten Reform, der de facto Greening beschreibt. D.h. es werden x% der Ackerfläche für die üblichen Greening-Maßnahmen vorgesehen. Das Parlament legte sich auf 5% für nicht produktive Flächen fest.

Der Rat ging transparenter vor und benannte die Greening-Optionen gleich direkt beim Namen, erwähnte sogar das Verbot von Pflanzenschutzmitteln für Leguminosen, das seit 2018 für die Ökologische Vorrangfläche gilt.

Was die Bewertung angeht, so kann man zunächst darauf hinweisen, dass die Biodiversitätsstrategie der EU-Kommission von 2020 vorschlägt, 10% nicht produktive Fläche und Landschaftselemente vorzusehen. Diese Zieldefinition wird von Wissenschaftlern aus den Umweltwissenschaften und der Agrarökologie immer wieder als sinnvolle Zielmarke genannt, selbst wenn es natürlich immer Kontext und regionsspezifisch zu differenzieren ist.

Des Weiteren kann darauf hingewiesen werden, dass die Nettofläche (vor Anwendung der Gewichtungsfaktoren) bereits in 2018 mehr als 5% der Ackerfläche nach dem Modell der ökologischen Vorrangfläche bewirtschaftet werden – und das ist nach den Änderungen in Rat und Parlament der entscheidende Benchmark.

Die folgende Tabelle zeigt, welche Optionen bereits im Jahr 2018 umgesetzt werden und netto sind wir bei 9% der Ackerflächen, wobei diese hauptsächlich durch die ineffektiven Optionen Zwischenfrüchte und Leguminosen zu Stande kommen.

Optionen der Ökologischen Vorrangflächen 2018
(Daten: ÖVF-Daten nach der Studie der Alliance Environment 2019; Ackerfläche nach Eurostat 2020

Insofern ist die Frage, wie man die 5% nicht produktive Fläche als eine hohe Ambition verkauft werden soll. Es wird weiterhin vorgeschlagen, mit den Ökologischen Vorrangflächen (trotz deutlicher wissenschaftlicher Kritik, siehe etwa Pe’er et al. 2017; Ekroos et al. 2019, Dellwisch et al. 2019) so exakt weiter zu machen. Zwischenfrüchte und Leguminosen sind trotz wissenschaftlicher Kritik in diese Option hinein verhandelt worden und die Zielmarke liegt unter dem, was bereits jetzt in der landwirtschaftlichen Praxis umgesetzt ist. D.h. auch in diesem Punkt bleibt der Reformentwurf hinter den Erwartungen zurück.

3.2 Schutz von Nassflächen und Mooren

Für die Umsetzung der Klimazielen kommt dem Schutz von Moorflächen und der Moor-Wiedervernässung eine zentrale Bedeutung zu. Bereits das Gutachten des wiss. Beirats Agrar- und Ernährungspolitik von 2016 zeigt die Potenziale auf. Es findet zu Moorschutz wichtige Forschung statt und gerade ein aktuelles Papier von Tanneberger et al. 2020 erschienen im September zeigt die Potenziale des Moorschutzes auf und zeigt, dass mit dem vorgeschlagenen GAP-Instrumentarium Moorschutz möglich wäre.

Die Potenziale für die EU-Mitgliedsstaaten und das bisher realisierte Niveau an Moorschutz wird durch die folgende Grafik des Greifswald-Moorcentrum aufgezeigt:

THG-Emissionen aus organischen Böden sowie Anteil der organischen Böden an der ges. Landwirtschaftnlichen Nutzfläche (Greifswald Moorcentrum 2019)

Es war zunächst in GAEC 2 der Schutz von Nass- und Moorflächen verpflichtend vorgesehen:

GAEC 2: Appropriate protection of wetland and peatland

Ziel war der Schutz von kohlenstoffreichen Böden und diese Verpflichtung hätte zu einem Schutz und einer Förderung von Moor- und Nassflächen führen können.

Die neue Bestimmung nach Parlamentsbeschluss lautet:

GAEC 2: Effective protection of wetland and appropriate maintenance of peatland

Der Unterschied besteht darin, dass es hier nur noch um den angemessenen Erhalt von Mooren geht, nicht um den Schutz. Es ist unklar, was genau angemessener Erhalt sein soll. Es ist auch eine Tatsache, dass die meisten deutschen Moore entwässert wurden und teilweise als Ackerland genutzt werden und in dieser Nutzung Klimagase emittieren. Insofern nutzt diese Zielbestimmung nicht und es wird sich daraus keine Handlungsanweisung für den Schutz von Moorflächen oder organischen Böden. Das Parlament und auch der Rat entwickeln mit diesen Änderungen keine klare Linie, wie man Moorschutz und Klimaschutz machen sollen, wenn existierende Moore nur erhalten werden sollen.

3.3 Umbruch von Natura 2000-Grünland

GAEC 10: Ban on converting or ploughing permanent grassland in Natura 2000 sites

Das Ziel besteht in dem Schutz von Habitaten und Arten im Rahmen der Natura 2000-Richtlinie. Auch vor dieser Anforderung wurde geändert, und das Natura 2000 wurde vom Rat gestrichen. Due beze

GAEC 10 Appropriate protection of permanent grassland in Natura 2000 sites according to the site- specific management plan

3.4 Weitere Grundanforderungen sollen nicht eingesetzt werden.

Eine weitere und möglicherwiese weitreichende Detailänderung ist in Artikel 12 angelegt.

Art 12: „In order to protect the commonality of the CAP and to ensure a level playing field, […] MS shall not prescribe standards additional to those laid down in that Annex against those main objectives, within the system of conditionality.“

Die Schlussfolgerung dieser Änderung ist nicht ganz klar, aber es liest sich für mich so, dass es keine weiteren Grundanforderungen über die genannten (und verwässterten) GAEC hinaus gehen darf. Dies mag zwar zunächst sinnvoll sein, da es die Einheitlichkeit der Regeln („Level playing field“) festlegt. Aber wenn die Regeln kaum effektiv sind, bedeutet es nur, dass Mitgliedsstaaten selbst keine anspruchsvolleren und damit effektive Regeln formulieren können. Insofern weicht das Parlament auch hier vom Grundsatz der Flexibilisierung ab: Wenn es um Umweltregeln geht, darf es keine Abweichungen nach oben geben.

4. Flexibilität vs. Fixe Vorgaben.

Die grundsätzliche Konstruktion der GAP-Reform nach 2020 war von der EU-Kommission auf mehr Verantwortung der Mitgliedsstaaten ausgerichtet. Mitgliedsstaaten bekamen mehr Flexibilität bei der Umsetzung. Instrumente wurden nur noch grob skizziert und die Umsetzung wurde an Hand von Zielindikatoren überprüft. In der neuen GAP sollen Mitgliedsstaaten primär bestimmte Ziele erfüllen und bekommen dafür sehr viel mehr Freiheit. Ein solcher Ansatz ist zwar angesichts der sehr heterogenen Agrarsektoren in der EU durchaus bedenkenswert, hat aber seine Tücken.

Diese Flexibilität wird durch die Änderungsanträge sowohl im Rat als auch im Parlament noch deutlich erweitert. Allerdings wird in den aktuellen Beschlüssen an einer Stelle von dem Prinzip abgewichen:

Es gibt ein Ringfencing von 60% für Direktzahlungen für die Mitgliedsstaaten, was insgesamt den Handlungsspielraum deutlich einengt.

In der Umsetzung der Strategiepläne ist unklar, wie man Ziele und Ambitionsniveau in der Agrarpolitik misst. Ein Instrument waren die Zielindikatoren und z.B. auch ein Instrument wie die GAEC-Grundanforderungen. Aber die Indikatoren sind schwach und es ist auch unklar, wie man ein Referenzniveau messen soll. Hier könnte noch einiges entwickelt werden, aber die Frage, wann eine Umsetzung z.B. einer Eco-Scheme-Maßnahmen noch akzeptabel ist und wann nicht, bleibt eine Herausforderung, wenn man nicht in arbiträre und politische Bewertungen von Strategieplänen kommen will. Insofern wird das Leben der EU-Kommisison nicht leichter.

Es gab vorab einige Skepsis. So haben wir in unserer Science-Studie (Pe’er et al. 2019) angedeutet, dass Flexibilität nicht zu mehr Umweltniveau führt. Mit den aktuellen Beschlüsse ist genau das Szenario eingetreten, das wir bereits 2018/19 in unsere Analyse befürchtet haben: Die Flexibilität wird ohne klare Umweltregeln eingeführt, d.h. die MItgliedsstaaten können tun was sie wollen und es gibt noch nicht mal ein Benchmark, um festzustellen, ob die Umsetzung akzeptabel im Sinne der Kommission ist oder nicht. Die EU-Kommission hat die Kontrolle aus der Hand gegeben, aber sie hat kein Faustpfand zurück behalten. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies auf die Umsetzung der GAP-Reform auswirken wird.

5. Bewertung der Beschlüsse: Es fehlt die gemeinsame Vision der Landwirtschaft 2030

Die Mehrheit im EU-Parlament und der Rat haben gestern einen Beschluss gefasst, der an vielen Stellen bekannte Elemente neu konfiguriert. Julia Klöckner spricht an der Stelle von einem Systemwechsel. Allerdings zeigen die Details doch recht deutlich, dass vieles bekannt ist. Bereits in der aktuellen Förderperiode waren die Direktzahlungen über Cross Compliance und über Greening an Umweltauflagen geknüpft. Die Betriebe mussten ökologische Vorrangflächen bereitstellen und die Umsetzung dieser Vorrangflächen war weder effektiv noch effizient. Die Politik hat aus den zahlreichen Studien keine erkennbaren Konsequenzen gezogen und sich für ein „Business as usual“ entschieden. Darüber hinaus sind viele Zielmarken und Anforderungen so formuliert, dass sie im Detail sogar hinter dem bisher 2014-2020 erreichten zurückbleiben. Insofern ist für mich kein Systemwechsel erkennbar.

Insgesamt fehlt den Ministern und auch den Parlamentarieren eine gemeinsame Vision für eine zukunftsfähige Landwirtschaft 2030 und es fehlt auch der Mut, die notwendigen Herausforderungen über dieses umkämpfte Förderinstrument anzugehen. Und so wird die Praxis der Direktzahlungen weiter fortgesetzt, die den Landeigentümern, aber nicht immer den aktiven Landwirten zu Gute kommen. Eine wissenschaftlich haltbare Begründung dieses Instrumentes gibt es nicht, trotzdem klammern sich die minister an diesen kleinsten gemeinsamen Nenner der EU-Agrarpolitik, andere einigende Ideen scheint es nicht zu geben. Interessant ist auch, dass die Beschlüsse die vorgelegten Strategien der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie) weitgehend ignorieren. Natürlich sind diese Strategien nicht perfekt und müssen weiter verfeinert und mit Folgenabschätzungen versehen werden, aber grundsätzich wären diese Strategien (bei aller Detailkritik) geeignet einige Defizite abzustellen und eine Transformation einzuleiten. Die Mehrheit der Parlamentarier und die Minister haben diesen Ball nicht aufgenommen.

Am Ende stellt sich die Frage, ob es insgesamt sinnvoll ist, an einer gemeinsamen Agrarpolitik festzuhalten. Den Mitgliedsstaaten und dem Parlament gelingt es offenbar nicht, dieses Förderinstrument zu erneuern. 2027 wird das EU-Budget unter Druck stehen, weil die EU inzwischen 750 Mrd. EUR Schulden aufgenommen hat. Eine nicht-reformierbare und dysfunktionale agrarpolitik könnte in diesem Szenario auf dem Prüfstand stehen. Es könnte dann sein, dass für die Landwirt*innen die Veränderungen sehr plötzlich und ohne Übergang kommen, weil Förerinstrumente ersatzlos gestrichen werden. Insfoern ist das Ignorieren der Kritik an der GAP auch für die Landwirt*innen nicht hilfreich. Des weiteren werden Landwirt*innen mit den Herauforderungen alleine gelassen. Förderinstrumente werden weiterhin defizitär bleiben, weil der Wille zur Veränderung fehlt. Insofern sind die Beschlüsse mittelfristig nicht gut für die Landwirte, auch wenn kurzfristig die Direktzahlungen beibehalten werden.

Die Forschung dürfte sich in den nächsten Jahren damit beschäftigen, wie die Mitgliedsstaaten die Flexibilitäten umsetzen und ein Fokus wird darauf liegen, ob in einigen Mitgliedsstaaten die Freiheiten doch zu mehr Ambition und good practice-Beispielen führen. Es hat aus der Wissenschaft nicht an Hinweisen gefehlt. So hatte sich der Wissenschaftliche Beirat Agrar- und Ernährungspolitik mehrfach mit Stellungnahmen geäußert (zur allgemeinen Ausrichtung der GAP, den effektiven Gestaltung der Umweltinstrumente und der Verwaltungsvereinfachung), es gibt die Stellungnahme der Leopoldina „Biodiversität und Management in der Agrarlandschaft“ von 2020, es gab das Papier „Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges“ vom Frühjahr 2020, das von > 3.600 Wissenschaftlern in der EU unterstütz wurde. Insofern hat es nicht an Analysen, ideen und Anregungen gefehlt, die Mehrheit der Parlamentarier und die Minister wollten das nicht aufgreifen, was ihr gutes Recht ist. Allerdings werden Sie den Bürgern erklären müssen, wie man eine funktionierende Agrarpolitik ohne wissenschaftliche Evidenz gestalten kann. Hier bleiben viele Fragen offen.

Die Ökologisierung wird weiter auf der Agenda bleiben, zumal in Deutschland, wo die Umsetzung der FFH-Richtlinie rechtlich in der Kritik steht, wo die Klimaziele aktuell nicht ausreichend erreicht werden und wo die Bürger noch sehr viel deutlicher einen Fortschritt in der Ökologisierung erwarten. Die finanzielle Konsequenz dürfte darin liegen, dass aus Bundesmitteln an verschiedenen Stellen zusätzlich finanziert werden muss. So erscheint nach den jetzigen Beschlüssen ein Klimafond um so mehr notwendig, auch ein Biodiversitätsfond zur Umsetzung der Insektenschutzstrategie erscheint notwendig, da die GAP hier finanziell nicht ausreichend Mittel bereit hält und die Bundesländer auch eine höhere Umschichtung in die II. Säule (trotz entsprechender Kritik) nicht umsetzen wollen. Insofern zahlt der Steuerzahler eine ineffektive und ineffiziente Agrarpolitik in Brüssel, die kaum zu gesellschaftlichen Zielen beiträgt und er/sie zahlt zusätzliche Bundesmittel, damit zumindest in Deutschland schlimmeres verhindert werden kann. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheinen die gestrigen Beschlüsse nicht unproblematisch.

Quellen:

  1. Änderungsanträge im Parlament von Dr. Peter Jahr (CDU), Marial Noichl (SPD) und Martin Hlaváček, Jérémy Decerle (Renew Europe) zur Verordnung und zum Anhang der Verordnung.
  2. Änderungsanträge der deutschen Präsidentschaft im Rat zur Verordnung Strategiepläne (Doc 11869) und zum Annex (Doc 11869/20 ADD 1)

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Eine Antwort to “Kommentar zu den GAP-Beschlüssen: Kein Systemwechsel erkennbar”

  1. CAP Reform | No Change of System Apparent | Agricultural and Rural Convention CAP Reform | No Change of System Apparent Says:

    […] Can a cash-strapped EU afford to lock itself into a dysfunctional agricultural policy? In the wake of the new positions on CAP reform agreed by the Council and European Parliament last week, Sebastian Lakner unpacks some crucial elements – and finds a lack of vision, ambition and courage. A German version of this article is available here. […]

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