Auswirkungen der Corona-Krise auf die landwirtschaftliche Produktion: Eine erste Annäherung

Die Corona-Krise hat Deutschland Mitte März fest im Griff. Inzwischen sind viele Betriebe und Behörden geschlossen, viele Menschen arbeiten im Homeoffice. Die Ansteckungszahl liegt inzwischen (16.03.2020) bei knapp 7.200 und hat Steigerungsraten von ca. 25% in der ersten Märzhälfte (vgl. FAZ 18.03.2020). Inwieweit ist die Landwirtschaft von der Krise betroffen und welche Auswirkungen sind erwartbar? In meinem Blogbeitrag werde ich erste Überlegungen anstellen, die sich teilweise schon mit Beobachtungen decken. Der Zweck ist zunächst, Informationen zu den möglichen Auswirkungen auf die Produktion bereit zu stellen. Ich hoffe jedoch auch, dass andere Experten und Praktiker diesen Betrag ergänzen und ggf. auf weitere mögliche Probleme und Herausforderungen hinweisen.

Mein erstes, vorläufiges Fazit besteht darin, dass die Saisonarbeitskräfte vor allem im Obst- und Gemüsebau sowie in arbeitsintensiven Produktionszweigen eine große Herausforderung darstellen. Des weiteren gilt (was für andere Branchen bereits seit Tagen als Achillesferse identifiziert wurde), dass der internationale Handel und der Import von Agrargütern von großer Bedeutung für eine sichere Versorgung in Deutschland ist. Insgesamt erscheint mir die Agrarproduktion für 2020 v.a. im Ackerbau als eher ungefährdet. In der Landwirtschaft steuern wir wahrscheinlich auf eine zwar schwierige, aber machbare Situation zu. Lediglich die arbeitsintensiven Betriebszweige müssen sich auf größere Herausforderungen einstellen.

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Der Hafen von Valparaiso in Chile: Wichtiger Umschlagplatz von Agrargütern

  1. Ist die landwirtschaftliche Produktion und Versorgung durch Lebensmittel in Deutschland in Gefahr? Welche Aussagekraft hat der Selbstversorgungsgrad?

Einerseits hat Deutschland in einigen Bereichen einen hohen Selbstversorgungsgrad von über 1,0, d.h. es wird in einigen Teilbereichen der Landwirtschaft mehr produziert als konsumiert. Dies betrifft Eckprodukte wie Weizen (SVG 117), Kartoffeln (148) oder Zucker (153). Auch bei Schweinefleisch (119), Frischmilcherzeugnissen (116) und Käse (126) gibt es hohe Selbstversorgungsgrade. Einen Überblick über den Selbstversorgungsgrad in der Landwirtschaft gibt das BMEL im Statistischen Jahrbuch Landwirtschaft.

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Tabelle 1a: Selbstversorgungsgrad im Ackerbau (BMEL 2019)

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Tabelle 1b: Selbstversorgungsgrad in der tierischen Produktion sowie bei Ölen (BMEL 2019)

Gleichzeitig ist Deutschland auf den Handel mit Agrargütern angewiesen. Dies betrifft  Produkten aus dem Obstanbau (mit SVG 13), dem Gemüseanbau (38), aber auch bei Rohstoffen wie Palmöl oder Soja als Futtermittel. Auch bei den Vorleistungen der Agrarproduktion (Dünger, Pflanzenschutzmittel, Futter) sind wir auf den Handel mit Agrargütern angewiesen. Insofern ist der Selbstversorgungsgrad für diese Situation nur beschränkt aussagekräftig.

Wir sind auf den Agrarhandel für eine sichere Versorgung angewiesen. Darauf wurde auch in der Pressekonferenz von Julia Klöckner (gemeinsam mit verschiedenen Verbandsvertretern) am 17.03.2020 hingewiesen

Das BMEL und die Ernährungsindustrie hat auf der Pressekonferenz am 17.03.2020 angekündigt, dass es beim Warenverkehr keine Einschränkungen gibt. Insofern würde ich zunächst nicht damit rechnen, dass es kurzfristig zu Lieferengpässen kommt, es sei denn dies gelingt der Bundesregierung nicht. Aber davon ist nicht auszugehen.

2. Inwieweit ist die landwirtschaftliche Produktion durch Ausfälle betroffen?

Es ist zunächst festzuhalten, dass viele Kulturen wie Wintergetreide, Raps oder Zuckerrüben die Saat im Herbst ist, so dass die Kulturen bereits im Boden sind. 55% der Kulturen auf Ackerflächen in Deutschland werden bereits im Herbst ausgesät. (Wintergetreide, Winterraps und (weitgehend) Feldgras werden im Herbst gesät.) Allerdings werden wichtige Sommerkulturen wie Mais (ca. 23% der Fläche), Sommergetreide (ca. 9%), Zuckerrüben (3,7%) und Kartoffeln (2,2%) in den nächsten Wochen gesät (- bzw. im Fall der Kartoffeln „gepflanzt“).

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Saatgut und andere Betriebsmittel wie Dünger oder Pflanzenschutz haben die Betriebe teilweise bereits eingekauft und im Lager. Insofern sind direkte Auswirkungen auf die Aussaat im klassischen Ackerbau eher gering, zumal Landwirt*innen vermutlich eher nicht zu den Hauptrisikogruppen des Corona-Virus‘ zählen.

Bei den Grundnahrungsmitteln aus der Produktion im Ackerbau (Weizen, Raps, Mais, Zuckerrüben) sind kurzfristig eher nur geringe Probleme zu erwarten.

Die Hauptherausforderung sind Saisonarbeitskräfte

Die Hauptherausforderung für die landwirtschaftliche Produktion sowie die Produktion in Obst- und Gemüsebau 2020 besteht in fehlenden Saisonarbeitskräften.

In der Landwirtschaft arbeiten insgesamt in allen Bereichen 300.000 Saisonarbeitskräfte (nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes 2020). Gerade in arbeitsintensiven Betriebsformen des Obst- und Gemüsebaus, im Weinbau und bei den Dauerkulturen kann der Ausfall von Arbeitskräften entweder durch Krankheit oder durch den Ausfall von Saisonarbeitskräften zu deutlichen Einschränkungen führen. Im Obst- und Gemüsebau arbeiten vielen Saisonarbeitskräften, die in vielen Fällen aus Osteuropa kommen und für eine begrenzte Zeit auf den Betrieben arbeiten. Im Gartenbau liegt der Arbeitskräftebesatz bei 68 AK/100 ha LF, im Obstbau bei 18,8 AK/100 ha LF, während in der sonstigen Landwirtschaft der Arbeitskräftebesatz eher bei 1,6, bis 2,7 AK/100 ha LF.

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Tabelle 2: Arbeitskräftebesatz und Gewinn je AK in verschiedenen Betriebsformen der Landwirtschaft

Hier kommen vor allem auch Saisonarbeiter aus dem osteuropäischen Ausland zum Einsatz, so dass die Einreisebestimmungen nach Deutschland hier entscheidend sind. Die Grenzschließung von Polen oder Ungarn könnte hier zu Problemen führen, da Saisonarbeiter aus Osteuropa nicht nach Deutschland einreisen können. Des Weiteren berichten Praktiker, dass Saisonarbeiter sich im Moment nicht trauen, nach Deutschland zu reisen, weil sie in Sorge sind, nicht zurück kehren zu können (vgl. Weser-Kurier vom 17.03.2020). Es sind Lösungen gefragt: In Hofheim (Hessen) helfen Schüler auf einem Erdbeer-Betrieb und ersetzen kurzfristig abgereiste polnische Saisonarbeitskräfte. (Hessischer Rundfunk am 16.03.2020).

Vor allem im Spargelanbau (April/Mai) und bei der Erdbeerernte (Juni) kann es in den nächsten Wochen zu Engpässen kommen.

Auch die Freilandsaison Gemüseanbau (z.B. beim Salatanbau) könnte es ebenfalls bis in den Sommer hinein zu Problemen kommen. Joachim Ruckwied erwähnte auf der Pressekonferenz am 17.03.2020 die Jungpflanzen im Gartenbau (Vgl. Bayerischer Rundfunk): Diese werden von Betrieben hergestellt und ab März an die Betriebe geliefert. Die Betriebe müssen dann sehr zeitnah die Jungpflanzen in die Erde bringen. Dies ist bereits jetzt wichtig und erfordert Handarbeit. Insofern könnte Arbeitsknappheit bereits aktuell zu Engpässen im Gemüsebau führen.

Betriebe mit Saisonarbeitern sollten gleichzeitig bei der Unterbringung und Verpflegung von Saisonarbeiter mit höheren Anforderungen rechnen, da Massenunterbringungen im Hinblick auf die Ansteckungsgefahr problematisch sind. Insofern wären auch hier Informationen gefragt.

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Salaternte in Norddeutschland: Selbst in großem Stil ist viel Handarbeit notwendig.

Landwirtschaft ist in Deutschland „systemrelevant“

Die Landwirtschaft wurde 2009 im Rahmen der Finanzkrise als „systemrelevant“ erklärt, insofern könnten z.B. Kinder von Arbeitskräften notbetreut werden, damit die Produktion aufrechterhalten werden.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) fordert daher zu Recht flexible Regelungen für den Einsatz von Saison-Arbeitskräften sowie einen „erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt“. (PM des DBV am 17.03.2020; https://www.bauernverband.de/presse-medien/pressemitteilungen/pressemitteilung/saisonarbeitskraefte-dringend-benoetigt )

Zur Rolle von Gemüse-Importen:

Für die Versorgung mit vitaminreichen und vielfältigen Nahrungsmitteln sind Importe von Obst und Gemüse essentiell, insofern erscheint auch die Lage im in der arbeitsintensiven Produktion in Südeuropa relevant. Hier könnte es im Laufe des Frühjahres und Sommers zu Preissteigerungen und einem etwas knapperen Angebot kommen, da unklar ist, wie die Produktion in wichtigen Importländern beeinträchtigt wird.

Die wichtigsten importierten Gemüse sind Tomaten, Gurken, Paprika, Blattsalat, Möhren und Zwiebeln (AMI 2019; S.20). Vor allem die ersten vier Kulturen sind arbeitsintensiv und werden in Ländern produziert, die bereits jetzt stärker von der Corona-Pandemie betroffen sind. Allerdings wird Gemüse in den südeuropäischen Ländern und in Nordafrika in der Saison länger bzw. unter Glas auch über den Winter angebaut, so dass sich die Lage vielleicht auch früher, etwa im Spätsommer wieder entspannen könnte.

Für deutsche Anbauer kann dies auch eine Chance bedeuten: Die Betriebe, die jetzt ihre Saison-Arbeitskräfte organisieren und den Anbau vorbereiten könne, könnten im Frühsommer von höheren Preisen für Gemüse profitieren.

Herausforderung Schlachtbetriebe?

Die Schlachtbetriebe arbeiten ebenfalls mit vielen Arbeitskräften aus Osteuropa, so dass es hier ebenfalls auf Einreisebestimmungen nach Deutschland ankommt. Einige Herkunfts- und Transitländer von Arbeitskräften (z.B. Polen) haben die Grenzen geschlossen, insofern könnte dies ein entscheidendes Problem sein, das die Bundesregierung lösen muss.

3. Können wir aus den letzten landwirtschaftlichen Krisen lernen?

Es kann aufschlussreich sein, sich frühere Krisensituationen anzusehen.

„Die Agrarpreiskrise 2006-08“: Im Jahr 2006-2008 gab es für verschiedene Agrarprodukte einen starken Anstieg von Preisen. Hierzu führten mehrere unterdurchschnittliche Ernten sowie eine hohe Importnachfrage aus China und die Nachfrage nach Agrarrohstoffen für die Erzeugung von Bioenergie. Im Zuge der Preisanstiege führten mehrere Exporteure von Agrarprodukten Export-Steuern oder Export-Quoten ein.

So führte beispielsweise die Ukraine (einer der Hauptlieferanten der EU für Getreide) Export-Quoten für Weizen, Gerste, Mais und Roggen ein, so dass die Exporte von 13.2 Mio. t (2005/06) auf 9.6 Mio. t (2006/07) und 3.7 Mio. t (2007/08) fielen (OECD 2009: S.164). Ähnliche Vorgehensweisen waren auch auf Russland, Kasachstan oder Argentinien zu beobachten. Diese Export-Einschränkungen hatten zum Ziel, eine größere Menge Getreide im Land zu belassen, damit dort der Preis für die Bevölkerung niedrig blieb.

Effektiv fehlten diese im Land belassenen Agrarrohstoffe jedoch auf dem Welthandel, so dass sich der anfängliche Preisanstieg 2007 verstärkte (siehe Abbildung). Beim Weizen beruhigte sich das Marktgeschehen erst wieder im März 2008 durch positive Ernteerwartungen und die Preise fielen 2009 wieder auf ein sehr niedriges Niveau.

Weizenpreise 2007-2019

Erzeugerpreis für Backweizen in Deutschland 2007-2019 (nach AMI, div. Jg).

  • Für eine sichere Versorgungslage im Laufe des Jahres 2020 weltweit erscheint es von entscheidender Bedeutung, dass die Exportländer von solchen Exportbeschränkungen absehen. Es liegen diesbezüglich Erfahrungen mit der Ukraine, Russland, Kasachstan, Indien, Pakistan und Argentinien vor.
  • Die Bundesregierung könnte hierbei Dialogforen der G7/G20 und die WTO nutzen, um mit den Ländern freien Warenverkehr zu vereinbaren. Allerdings ist damit zu rechnen, dass manche Regierungen der erwähnten Länder im Moment als „schwierige Handelspartner“ zu betrachten sind.

Im Dürrejahr 2018 führte eine lange anhaltende trockene Witterung von Mai bis November zu deutlichen Ertragsrückgängen. Vor allem bei Getreide konnten Mindererträge von 25% beobachtet werden (vgl. unser Beitrag 2018 auf Agrardebatten.blog). Eine ähnliche Witterungslage konnte in benachbarten Regionen in Polen und Skandinavien beobachtet werden. Trotzdem blieben die Preise in Deutschland im Vergleich zur Preis-Rallye 2006/07 relativ stabil. Es kam von April bis August 2018 zu einem Preisanstieg bei Weizen, aber danach fiel der Preis wieder und erreichte im Frühjahr 2019 wieder das Ausgangsniveau. Dies konnte mit einer stabilen Lage am Weltmarkt erklärt werden, bei der Versorgungslücken geschlossen werden konnten. Die großen Preisdynamiken waren dagegen eher 2006/07 und 2010-13 zu beobachten.

Die Dürre 2018 wirkte sich eher auf die Futterversorgung aus, was aber für die aktuelle Situation bei durchschnittlichem Witterungsverlauf nicht zu erwarten ist.

  • Gerade deshalb erscheint ein ungehinderter Warenverkehr und offene Grenzen für die Freizügigkeit von Saisonarbeitskräften von entscheidender Bedeutung.
  • Für eine sichere Versorgungslage ist ein funktionierender Handel und ein weltweit weitgehend ungestörtes Produktionsgeschehen von entscheidender Bedeutung. Insofern kommt es auch darauf an, dass die Produktion in anderen wichtigen landwirtschaftlichen Produktionsregionen wie z.B. Kanada, USA, Ukraine, Russland, Kasachstan, Ukraine, Brasilien und Argentinien möglichst ohne Einschränkungen verläuft und der Handel nicht gestört wird. Allerdings kann auch eine wenig eingeschränkte Produktion in Mitteleuropa zu einer sicheren Versorgungslage auf dem Weltmarkt beitragen.

Kommentare und Ergänzungen nehme gerne, dies sind nur erste, eher theoretische Überlegungen und ich hoffe, ich habe nichts wichtiges übersehen.

 

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2 Antworten to “Auswirkungen der Corona-Krise auf die landwirtschaftliche Produktion: Eine erste Annäherung”

  1. NABU-GAP-Ticker: Können wir uns Umweltschutz in der Agrarpolitik jetzt noch leisten? Says:

    […] es um die Versorgungssicherheit und mögliche Auswirkungen der Corona-Krise steht, hat Prof. Sebastian Lakner, Agrarökonom an der Universität Rostock kürzlich sehr ausführlich skizzie…. Er sieht die Hauptherausforderung bei der Verfügbarkeit von Saisonsarbeitskräften, gerade im […]

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  2. Effects of Coronavirus on Agricultural Production - a First Approximation (part 2) | Agricultural and Rural Convention Says:

    […] A version of this article was originally published in German on Sebastian Lakner’s blog. […]

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