Die Trilog-Verhandlungen in Brüssel zwischen dem Ministerrat, EU-Parlament und Kommission sind am Freitag, den 28.Mai 2021 nach drei Verhandlungstagen (und -Nächten) gescheitert. Der Rat hat die Verhandlungen abgebrochen und die portugiesische Ratspräsidentschaft hat angekündigt, im Juni weiter zu sprechen. Eine Konsequenz ist allerdings schon jetzt, dass das EU-Parlament frühestens nach der Sommerpause in der Woche 13-16 September 2021 über die Reform abstimmt. Hier präsentiere ich einige erste Überlegungen, was die Gründe für dieses Scheitern sind und welche vordergründigen Konsequenzen daraus entstehen.

Woran sind die Verhandlungen inhaltlich gescheitert?
Man kann zunächst in die Inhalte gehen und schauen, an welchen Punkten die Verhandlungen im Moment feststehen. Die Punkte sind nicht besonders überraschend, weil bei diesen Punkten bereits im Oktober 2020 deutliche Unterschiede zwischen den Positionen in Rat und Parlament auszumachen waren – ohne dass man jedoch den good und den bad cop ausmachen konnte. (Interessanterweise könnte sich diese Wahrnehmung durch die Sturheit des Rates verändern.)
Eine ganze Reihe von Detail-Regelungen beim Ringfencing von Eco-Schemes und Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen waren umstritten (und vieles davon ist wenig überraschend):
Während das Parlament 30% Ringfencing für die Eco-Schemes fordert, bestand die Position des Rats bei 20%. In den Zwischenrunden hatte man sich nicht geeinigt, auch diese Woche war keine Einigung möglich. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hatte 25% über die gesamte Förderperiode oder 22% mit ansteigenden Raten auf 30% in 2027 vorgeschlagen. Der Rat hatte diesen Vorschlag verworfen.
Auch das Ringfencing für Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM) und die Zahlungen für benachteiligte Gebiete (ANC)in der II. Säule wurden kontrovers debattiert. Hier war der Rat mit 30%, das Parlament mit 35% ins Rennen gegangen. Während der Verhandlungen wurde diese Vorgabe erweitert auf Tierwohlausgaben, wobei diese nur zu einem Anteil von 60% anrechenbar sein sollen. Der Ministerrat hatte für diese drei Politikmaßnahmen zwischenzeitlich 35% angeboten, das Parlament lag bei 37-38%. Ein Interessantes Detail wurde von EU-Agrarkommissar Wojciechowski in die Verhandlungen eingebracht, nämlich die Tatsache, dass die Mitgliedsstaaten bereits in der aktuellen Förderperiode 42% für AUKM, ANC und Tierwohl in der II. Säule ausgeben. Nur 6 Mitgliedsstaaten geben weniger als 40% für diese drei Maßnahmen aus, insofern erscheinen die angebotenen 33% in der II.Säule wenig ambitioniert, was vom Kommissar in der Sitzung des Ministerrats auch bemängelt wurde.
Die Konditionalität und verschiedene GLÖZ-Standards wurden kontrovers debattiert, etwa GLÖZ 4 (Pufferstreifen an Wasserläufen), GLÖZ 1 (Mindestbodenbedeckung), GLÖZ 8 (– Fruchtfolge auf Ackerland) und GLÖZ 9 (nicht produktive Flächen). Gerade zu den nicht produktiven Flächen wurde vom Rat eine sehr ausdifferenzier Vorschlag mit verschiedenen Optionen gemacht, der an einigen Punkten 1:1 auf die Ökologische Vorrangfläche zurückfiel. Auch die Frage, wie Pufferstreifen an Wasserläufen auszugestalten seien und was als Fruchtfolge anerkannt würde, wurde von Seiten des Rates mit dieversen Fußnoten versehen. Insgesamt wurden viele kritische Punkte von den Fachministern im Rat vorgetragen und es drohte ein Festvial der Ausnahmen und Sonderregeln.
Die Einbindung von Sozialstandards und des Arbeitsschutzes in die Konditionalität löste eine teilweise recht emotionale Debatte aus. Gemeint sind hier Arbeitsschutzstandards, die im Rahmen der Betriebskontrollen spätestens ab 2025 abgeprüft werden müssten. Hier wurde diskutiert, ob diese Prüfung auf 2023 vorgezogen werden sollte. Und gerade bei diesem Punkt trug Julia Klöckner eine deutliche Kritik als deutsche Position vor.
Die Bewertung der Einbindung von Sozialstandards ist nicht trivial. Zunächst erscheint das Anliegen nachvollziehbar: Im Pandemiejahr 2020 wurden auf verschiedenen Betrieben Verstöße gegen Hygienevorschriften gefunden und die Pandemie legte teilweise auch frei, dass bei einigen wenigen Betrieben schlechte Bedingungen z.B. bei der Unterbringung für Saisonarbeitskräfte vorherrschen. Diese Fälle gingen durch die Presse und werfen ein schlechtes Licht auf den Sektor. Andererseits gibt es viele Betriebe, die ihre Saisonarbeitskräfte sogar über Mindestlohn bezahlen und über viele Jahre ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen. Eine Prüfung dieser Standards würde den Aufwand bei Betriebskontrollen deutlich erhöhen und bei vielen Betrieben wäre die Relevanz einer solchen Prüfung nicht besonders hoch. D.h. einige wenige schwarze Schafen nehmen insofern den Rest des Sektors in Geiselhaft. Klöckners Kritik mit dem Verweis auf Subsidiarität und exsitierenden Regeln und Kontrollmechanismen in Deutschland ist insofern nachvollziehbar. Anderseits würde sie sich argumentativ leichter tun, wenn sie mehr für die Durchsetzung dieser Standards getan hätte, denn selbst wenn es Sozialstandards gibt, so gibt es immer wieder Betriebe, bei denen diese Standards nicht eingehalten werden zum Schaden des gesamten Sektors. Es erscheint gleichwohl eher naheliegend, hier auf nationaler Ebene nachzubessern und die Kontrollen außerhalb der GAP zu verbessern.
Insgesamt gibt es eine lange Reihe von inhaltlichen Punkten, die im Okotber 2020 bekannt und absehbar waren. Eine ausführlichere Übersicht über die Inhalte gibt der Text von Oliver Moore auf Arc2020. Es erstaunt schon, dass diese Punkte nicht vor Beginn des Supertrilogs zumindest teilweise abgräumt wurden. Daher schließt sich die Frage an, ob die Verhandlungen nicht nur an den Inhalten, sondern auch a) an der Rolle des Rates und b) an atmosphärischen Störungen zwischen Kommission und Rat liegt.
Welche Rolle spielte der Ministerrat in den Verhandlungen?
Beim Verfolgen der Video-Streams der Ratssitzungen fiel auf, dass sich die portugiesische Ratspräsidentschaft sehr schwertat, die Interessen zusammenzuführen. Die Sitzungen wurden von der portugiesischen Agrarministerin Maria do Céu Antunes und ihren Staatsekretären geleitet. In den Statements der Fachminister wurden immer wieder rote Linien skizziert, einzelne Punkte, bei denen einzelne Staaten nicht mitgehen würden. Die kritischen Punkte waren sehr unterschiedlich und in den Statements deutete sich an, dass kaum Kompromissbereitschaft vorhanden war. Die portugiesische Ratspräsidentschaft konnte die kontroversen Punkte nicht einfangen.
Dies wurde in der Abendsitzung am 26.05.2021 deutlich: Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hatte am Vormittag einen 7-Punkte-Plan vorgetragen, in dem er einige Kompromisslinien zu den obigen Punkten zeichnete.

Diese Punkte waren über Tag debattiert worden und der Rat zeigte sich unwillig, z.B. über die 33% AUKM in der II.Säule hinauszugehen. In der Abendsitzung am 26.05.2021 forderte Wojciechowski mehr Ambition vom Rat und kontrastierte die 33% mit den aktuellen Ausgaben der Mitgliedsstaaten (Zahlen, siehe oben). Offenbar wurde diese Aufforderung, sich zu bewegen, vom Rat sehr schlecht aufgenommen. So kritisierte Klöckner etwa die Rolle von EU-Vizepräsident Frans Timmermans, der in seiner Funktion für den Green Deal zuständig ist und daher an den Verhandlungen teilnahm. Die Ratsmitglieder trugen weiterhin ihre Kritik vor und zeigten sich unbeweglich, auch Klöckner forderte in der Sitzung das Parlament auf, sich zu bewegen. In einer Pressemitteilung vom 28.05. legte sie nach: „Wenn drei an einem Tisch sitzen, muss sich jeder bewegen.“ Allerdings gehörte Klöckner noch zu den Ministern, die nur wenige Kritikpunkte vortrugen und an einigen Punkten auch selbst Kompromissbereitschaft zeigte.
Überraschend war jedoch die Reaktion des Parlaments: Hier führte die Haltung des Rates offenbar zu einem Schließen der Reihen. Maria Noichl (SPD) gab nach der Sitzung in einer Video-Botschaft zu Protokoll, sie sei stolz, wie geschlossen das Parlament agiert habe. Auch Norbert Lins (CDU) deutete an, dass die GAP-Verhandler auch in Zukunft einig gegneüber dem Rat aufgetreten würden.
Martin Häusling (Grüne) äußerte Kritik an Klöckner und warf dem Rat eine Politik von gestern vor. Am Ende von drei Verhandlungstagen führte diese Reaktion des Parlamentes und die Sturheit des Rates zum Scheitern der Verhandlung.
Auch das Parlament beteiligt sich an der Verwässerung der Reform
Die Vertreter des Parlaments, allen voran Maria Noichl (SPD) wollten diesen Eindruck erwecken, der jedoch unbegründet ist. Es ist ein weit verbreitetes Vorurteil, dass das Parlament immer für ambitionierte Reformen streitet, während der Rat bremst. Beide Institutionen haben mit ihren Positionen vom Okotber 2020 den ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission verwässert, allerdings sind die Strategien unterschiedlich: Während der Rat auf niedrigschwelliges Ringfencing und ein weitgehendes Laissez-faire setzt, enthält der Parlamentsvorschlag andere Probleme. So wird gefordert, dass 60% der Ausgaben für Direktzahlungen, gekoppelte Zahlungen und Umverteilung ausgegeben werden müsse, auch die Zielstellung vieler Instrumente sind weiter gefasst. Andererseits ist im Parlamentsvorschlag die Möglichkeiten beschränkt, die Konditionalität mit landeseigenen Gesetzen zu ergänzen (siehe die Analyse der Positionen im Okotber 2020; oder Greenpeace). Sollte das Parlament sich im Juni 2021 durchsetzen, dann könnte dies bei einzelnen Fragen wie der des Ringfencing etwas mehr Ambition bedeuten, aber an anderen Punkten wird die Reform verwässert. Den Gehalt und die Ambition der GAP-Reform können erst abschließend beurteilt werden, wenn der finale Beschluss getroffen ist. Inhaltlich hat auch die Parlamentsposition ihre Schwächen und beide Institutionen haben in ihren Änderungsvorschlägen Ambition vermissen lassen.
Was ist an diesem Scheitern problematisch?
Ein problematischer Punkt könnte darin liegen, dass wertvolle Zeit während der Sommerpause verstreicht, weil es (bei einer möglichen Einigung im Juni) erst im September zu einer Parlamentsabstimmung kommt. Aber selbst bei einer Einigung diese Woche wäre es nicht vor der Sommerpause zur Abstimmung gekommen. Die Zeit wurde bereits im Jahr 2020 verspielt, Rat und Parlament hätten sich früher einigen müssen, die letzten vier Wochen sind nicht entscheidend.
Man könnte sich auch fragen, ob die deutsche Umsetzungsstrategie durch bestimmte Positionen in Gefahr ist, weil ggf EU-Vorgaben strenger ausfallen als die deutsche Umsetzung. Bisher kann ich das nicht erkennen, denn die EU-Kommissionsvorschlage waren (sofern das in der Kürze der Zeit sichbar ist) mit dem deutschen Vorschlag verträglich (vgl. der Bericht von Konstantin Kockerols in TopAgrar). Insofern verwundert es auch, dass Klöckner hier Kritik vortrug, denn die Vorschläge hätten zur deutschen Position gepasst. Problematisch ist allerdings, dass die früheste mögliche Einigung im Trilog erst Ende Juni zu erwarten ist
Der Bundestag hat bereits am 10.Juni 2021 über die Umsetzung der Gesetze zur Umsetzung der Strategieplanverordnung abgestimmt (hier das Video zur Debatte) – diese Verordnung ist aber auf EU-Ebene noch nicht beschlossen worden. Insofern spielt die Bundesregierung etwas auf Risiko. Inhaltlich ist das Risiko jedoch nicht all zu groß, weil sich die finanziellen Festlegungen von AMK, BMEL und auch BMU eher oberhalb dessen bewegen, was in Brüssel verhandelt wurde. Insofern kann man wohl eher von einem gewissen „Restrisiko“ sprechen.
Es gibt einige weitere Punkte, die problematisch sind, diese betreffen eher das Verhandlungsklima. Hierüber werde ich einen weiteren Post veröffentlichen, spricht doch aus ihnen ein Streit darum, welche Rolle Rat, Parlament und vor allem EU-Kommission sprechen. In diesem Sinne waren die Trilog-Verhandlungen ein großes Drama. Während also die Konflikte um bestimmte inhaltliche Punkte erstens erwartbar und zweitens vermutlich auch lösbar sind, dürfte bei dieser GAP-Reform kein großer Wurf mehr kommen. Und die viel größere Frage ist die nach der Zukunft dieses Politikfeldes, das weiterhin zu sehr Klientel-Politik und zu wenig Politik für die gesellschaftlichen Interessen ist.
Schlagwörter: Agrarpolitik, Agrarumweltprogramme, EU-Kommission, GAP nach 2020, Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP), trilog
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