Dort im Südrandkrater, hinten an der Zwischenkieferwand… Burg-Waldeck 1966
Wenn ich diese Bilder sehe, bekomme ich eine Gänsehaut! Mit Franz Josef Degenhardt ist am 14.11.2011 ein ganz großer Liedermacher, Dichter und ein politisch streitbarer Geist der alten Bundesrepublik Deutschland gestorben. Ich möchte einen Augenblick inne halten, weil es für mich eine Zäsur ist.
Franz Josef Degenhardt habe durch ein Liederbuch kennen gelernt, „Wölfe Mitten im Mai“. Die erste Platte, die ich irgendwann nach 1990 geschenkt bekam, war „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ (1965), kurz darauf „Wenn der Senator erzählt“ (1968). Und trotz des damaligen zeitlichen Abstands von 25 Jahre war der Geist dieser Platten für mich sofort zu erkennen: utopische Kunst, Satire und geistige Opposition. Die Liedermacher-Karriere des Dr.jur. Degenhardt beginnt mit der Platte „Rumpelstilzchen“ (1963), einer utopischen Deutung des Märchens. Am Bahndamm bauen Kinder ihre Höhlen, weil sie sich nicht nach Hause trauen. Hier weht der Wind durch tote Autos und der bucklige Oskar, wenige Jahre zuvor von Günter Grass erst erschaffen, schlägt die Trommel. Die Platte enthält einige solcher Bänkelsang-artige Lieder, die jedoch immer leicht ins utopische und absurde abdriften.
Doch während das radikal Politische am Anfang seiner Liedermacher-Karriere sehr subtil daher kommt und vor allem von geistiger Opposition geprägt ist, jedoch ohne feste Richtung, wird Degenhardt mit der Platte „Väterchen Franz“ (1966) deutlicher. Das subtile wird weniger, die Texte gewinnen an Schärfe, zunächst nicht zum Nachteil. Denn auch seine Poesie ist dicht, gerade auf der „Väterchen Franz“-Platte, etwa im Lied „Umleitung“ oder „Spaziergang„. In „Feierabend“ skizziert er bereits 1966 den Amoklauf, den die RAF wenige Jahre später in die Tat umsetzt. „Diesmal, Lodenröck, dieses mal da lauern wir…„, hier spricht nicht nur Zorn auf die verkrusteten Verhältnisse, sondern auch ein Gefühl der Macht- und Aussichtslosigkeit, das sich in die Gewalt Bahn bricht. Und doch ist alles poetisch überzeichnet, immer fliegen auch Mauersegler durch seinen Lieder, man kann diese Lieder stets als Gleichnisse oder Utopien hören. So in den „Guten alten Zeiten„, ein Gleichnis auf die Nazi-Zeit, humoristisch und absurd.
Von 1966 stammt auch der Ausschnitt aus Youtube, in dem Degenhardt 1966 auf dem legändären Festival auf der Burg Waldeck von die „Guten alten Zeiten“ besingt. Immer an der Grenze zwischen Protest und satirischer Überzeichnung. 1967 und 1968 tritt er mit Wolfgang Neuss, Hans-Dieter Hüsch, und Dieter Süverkrüp als „Quartett 67“ auf, eine deutsche Variante des Million-Dollar Quartetts. Degenhardt liefert mit seinen Liedern einen Teil des Soundtracks der 68er. Und dann der „Senator“ im Protestjahr: Mit seinem „2.Juni 1967“ spricht er Klartext zu den Schah-Demonstrationen in Berlin. Im „Senator“ und dem „Notar Bolamus“ sind die Typen aus der Adenauer-Ära, die auch nach 1945 zu leben und überleben wissen, und denen es dabei auch noch gut geht. Schließlich „Wo sind Eure Lieder?“
Wo sind Eure Lieder?
Wo sind eure Lieder,
eure alten Lieder?
fragen die aus anderen Ländern,
wenn man um Kamine sitzt,
mattgetanzt und leergesprochen
und das high-life Spiel ausschwitzt.
Ja, wo sind die Lieder,
unsre alten Lieder?
Nicht für’n Heller oder Batzen
mag Feinsliebchen barfuß zieh’n,
und kein schriller Schrei nach Norden
will aus meiner Kehle flieh’n.
Tot sind uns’re Lieder,
uns’re alten Lieder.
Lehrer haben sie zerbissen,
Kurzbehoste sie verklampft,
braune Horden totgeschrien,
Stiefel in den Dreck gestampft.
Deutschland 1968, eine geistig immer noch zerstörte Kulturnation. Der zerstörerische Wer der Nazis wirkt weiter fort, die alten Lieder wurden im Dritten Reich missbraucht, das Volksliedgut ist nachhaltig diskreditiert. Degenhardt ist der Aufbauhelfer einer eine neue, authentischen Liedkultur, des neuen Folksongs in der Tradition der Burg Waldeck. Aber auch das neue politische Lied möchte er aufbauen. 1968 ist er mit dieser Haltung wahrscheinlich ganz nah am Zeitgeist.
Doch der Senator von 1968 ist auch ein Wendepunkt, künstlerisch gesehen, denn etwas geht in diesem Jahr verloren. Die Platte das „Jahr der Schweine“ (1969) kurz darauf, ist aggressiv, düster und den Liedern fehlt auf einmal die künstlerische Leichtigkeit, die sein Werk vor 1968 kennzeichnen. Man mag über die „Befragung eines Kriegsdienstverweigerer“ (1972) schmunzeln, auch dieses Lied trifft den Punkt und wird von über 50jährigen als wichtig beschrieben. Und doch fehlt den Liedern auf einmal das Utopische, die Leichtigkeit der früheren Lieder. Merkwürdigerweise… In dieser Phase, 1971 wird Degenhardt aus der SPD ausgeschlossen und später dann der Eintritt in die DKP, der SED-Aussenstelle West. Konsequenterweise kommt seine Affinität zur DDR hinzu, was ihm viele Undogmatischen verübeln. Sein allzu lautes Lob der DDR-Führung zur Ausbürgerung Biermanns aus der DDR im Nov. 1976 ist dazu passend. Sein Können blitzt nur noch manchmal auf, etwa im „Winterlied“ von 1979. Der Wind hat sich gedreht im Land. Seine späteren Platten sind für mich merkwürdigerweise überhaupt nicht mehr interessant, was offenbar auch anderen so geht, siehe sie Besprechung seines Werke von Klaus-Peter Klingelschmitt in der taz vom 16.11.2011 (http://www.taz.de/!81974/). Ein treffender Nachruf kommt von Ulrich Greiner in ZEIT Online (http://www.zeit.de/kultur/musik/2011-11/degenhardt-nachruf/komplettansicht).
Und am Ende werden doch viele seiner frühen Lieder bleiben. Adieu!
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